Schäbiges Erinnern

Ein Gastkommentar anlässlich des Gedenkens an die ermordeten Herero und Nama

Wenig beachtet und vernachlässigt: Das Bremer Mahnmal zum Gedenken an die Opfer des Völkermordes an den Herero und Nama (r.). Umso imposanter: Der Elefant als ehemaliges Kolonial- und heutiges Antikolonialdenkmal Foto: (u.) Fotos: imago/epd

Von Steven Robins

Seit geraumer Zeit sind Nama- und Herero-Aktivisten sowohl damit beschäftigt, Entschädigungen für den Genozid im damaligen „Deutsch-Südwestafrika“ vom deutschen Staat einzufordern als auch die Rückführung von menschlichen Gebeinen, die früher für medizinische und anthropologische Forschungen in Deutschland beziehungsweise Europa missbraucht wurden.

Gleichzeitig drängen antikoloniale Aktivisten aus Deutschland wie Afrika darauf, Straßennamen, die nach wie vor politische wie militärische Führungsfiguren der kolonialen Ära repräsentieren, umzubenennen. Irritierend, wie lange es hingegen braucht, dass sich die deutsche Gesellschaft ihrer Kolonialgeschichte stellt, obwohl in den letzten Jahrzehnten die Nazi-Vergangenheit mit großer Ernsthaftigkeit aufgearbeitet wurde.

In meinem jüngst veröffentlichten Buch „Letters of Stone: From Nazi Germany to South Africa“ habe ich mich explizit auf Hannah Arendts Konzept des „Boomerang“-Effekts bezogen, um zu zeigen, wie NS-Ideologien der Eugenik und Rassenhygiene bereits in den deutschen Kolonien verbreitet und angewandt wurden. 1908 veröffentlichte der physische Anthropologe und Anatomie-Experte Eugen Fischer seine Studie über die „Misch-Rasse“ der „Rehobother Basters“ im damaligen Deutsch-Südwestafrika. Diese Studie beförderte sein internationales Ansehen als führendem Wissenschaftler in der Eugenik. Sie wurde zudem von Adolf Hitler gelobt, nachdem er sie 1923 während eines Gefängnisaufenthaltes in München gelesen hatte.

Fischer betonte die Gefahren von „rassischer Vermischung“ und seine Thesen, die in den „Human-Laboren“, also den kulturell heterogenen Bevölkerungen in den Kolonien „getestet“ wurden, zirkulierten später als zentrale Erkenntnisse in ganz Europa, wo die Rassen-Gesetze der Nazis zum Beispiel direkte Auswirkungen auf meine Familie väterlicherseits hatten, die schließlich in Berlin festsaß.

Mitte der 1930er-Jahre wurde Fischer einer der zentralen NS-„Rassen“-Forscher, von 1929 bis 1942 war er Direktor des prestigereichen Kaiser-Wilhelm-Instituts für anthropologische Humangenetik und Eugenik in Berlin. Sein Institut, das von der Carnegie-&-Rockefeller-Stiftung in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren finanziert wurde, war elementar in die rassistischen Klassifikationen der Nazis involviert und versorgte das Regime mit wissenschaftlichen Daten zur Legitimierung ihrer berüchtigten Rechtsordnungen wie die Nürnberger Gesetze.

Nachdem der Zweite Weltkrieg begonnen hatte, wurden an Fischers Institut entsprechende Blutproben und Augenpräparate geliefert, die aus Josef Mengeles Experimenten an Juden sowie Roma- und Sinti-Zwillingen in Auschwitz stammten. Was also 1908 als anthropologische Studie über „Rassen-Vermischung“ in Deutsch-Südwestafrika begonnen hatte, wandelte sich zu den menschenverachtenden Experimenten mit Häftlingen eines Konzentrations­lagers in Polen. Während eines kürzlichen Besuchs in Bremen im Rahmen eines universitären Workshops zu Methoden der Dekolonisierung wurde mir ­äußerst bewusst, wie akribisch die Genozide an den Herero und an den Juden auseinandergehalten werden, statt die Verbindungen zwischen ihnen aufzuzeigen.

Ich lernte, dass nach dem Ersten Weltkrieg, als Deutschland seine durchaus lukrativen Kolonien in Deutsch-Südwestafrika (heutiges Namibia), Kamerun, Togo und Deutsch-Ostafrika (heutiges Tanzania) aufgeben musste, eine Hafen- und Handelsstadt wie Bremen starke ökonomische Verluste zu verzeichnen hatte. In den 1920er-Jahren waren die Eigentümer führender, auch Bremer Handelsunternehmen somit motiviert, die Regierung der Weimarer Republik davon zu überzeugen, die alten Kolonien Deutschlands wiederzugewinnen.

So gelang es 1932 schließlich in Bremen, ein gigantisches Kolonialdenkmal, den „afrikanischen Elefanten“ zu errichten, um den gefallenen deutschen Soldaten aus den Kolonialkriegen zu gedenken. Bremens geschäftige Kapitalisten wie Adolf Edouard Lüderitz und Heinrich Vogelsang waren bekanntlich zentrale Akteure der Kolonisierung von Südwestafrika. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde diese Wirtschaftselite vermutlich zu eifrigen Befürwortern für eine Rückgewinnung dieser „afrikanischen Juwelen“.

Unmittelbar vor dem gigantischen und grotesk anmutenden Elefanten aus roten Backsteinklinkern, der Ende der 1980er-Jahre von postkolonial motivierten Aktivisten und Wissenschaftlern in Bremen in ein „Antikolonialdenkmal“ transformiert wurde, findet sich allerdings noch ein kleines Mahnmal zur Erinnerung an den Genozid an den Herero und Nama. Dieses „Gegen-Denkmal“, das erst 2009 errichtet wurde, besteht aus ein paar Gesteinsbrocken aus der Omaheke-Wüste Namibias, die mit einer kleinen Tafel versehen sind, auf denen Herero-Gefangene in Ketten gezeigt werden. Das sprießende Gras und die Glasscherben zwischen den Steinen erweckten den Eindruck eines wenig beachteten und vernachlässigten Ortes. Ein paar Obdachlose hockten auf den Bänken zwischen den zwei Denkmälern.

Dieser schäbige Platz löste in mir heftige Gefühle von Wut über den mangelnden Ausdruck von Würde aus: Wie kann dieser Erinnerungsort je NamibianerInnen gerecht werden, die Nachkommen Zehntausender Hereros und Namas sind, die durch den „Schießbefehl“ von General von Trotha in der Schlacht am Waterberg getötet wurden oder durch die Vertreibung in die Omaheke-Wüste umkamen?

Im Verhältnis zum gigantischen „Elefanten“ wirkte diese kleine Landschaft aus Steinen der Omaheke-Wüste geradezu als Beleidigung für die Erinnerung an die Opfer aus dem Genozid in Namibia. Ich dachte bei mir, dass diese Gestaltung eines Genozid-Mahnmals niemals akzeptiert worden wäre, wenn die Opfer Juden gewesen wären. Was die Sache leider nicht besser macht: Dies ist eines der wenigen Denkmäler überhaupt in Deutschland, das den Genozid an Nama und Herero in Namibia thematisiert.

Die Ursache des Problems scheint nicht bei den Aktivisten zu liegen, die angesichts der allgemeinen Gleichgültigkeit dafür kämpfen mussten, überhaupt einen Erinnerungsort an den Genozid an dieser Stelle zu schaffen. Vielmehr sollten die lokal Zuständigen sowie die deutsche Regierung dafür verantwortlich gemacht werden, dass bis heute keine ausreichenden Ressourcen zur Verfügung gestellt wurden für eine angemessene Erinnerungsarbeit zum kolonial motivierten Genozid im damaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia.

Mein Besuch an den zwei Denkmälern offenbarte mir somit die tiefe historische und leidvolle Verstrickung Bremens zwischen deutschem Kolonialismus und dem Aufbau einer modernen, kommerziell erfolgreichen Stadt. Er machte mich auch auf die laufenden Schwierigkeiten aufmerksam, den Genozid in Namibia von deutscher Seite endlich offiziell anzuerkennen.

Steven Robins ist Professor am Institut für Soziologie und Sozialanthropologie der Stellenbosch University, Südafrika. Cordula Weißköppel vom Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft der Uni Bremen hat seinen Kommentar aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt