Stadtgespräch
Erich Rathfelder aus Split
: Wo die Satiriker aussterben und Freigeister verstummen

Saša Ljubićić ist nostalgisch. „Als wir in den 80er Jahren noch im damaligen Jugoslawien gegen die Polizei demonstrierten, war das eine jugendliche Reaktion auf die Etablierten“, sagt der Schriftsteller und Journalist aus Split. „Wir fühlten uns im Aufwind, wir fühlten uns als Europäer, wir waren frei.“ Split war damals bekannt für seine Freidenker, den Humor, die Musik, die Lieder von Oliver Dragujević, der im Juli vorigen Jahres gestorben ist.

Sprachrohr dieses urbanen Split war über Jahrzehnte die legendäre, „häretische, anarchistische, satirische“ Zeitschrift Feral Tribune. Auch um Predrag Lućić, ihren Inspirator, wurde 2018 getrauert, zu seiner Beerdigung kamen Tausende kritische Intellektuelle aus dem ganzen ehemaligen Jugoslawien. Nur aus Split waren es ganz wenige. Seine Familie hatte sich dem Druck der Kirche gebeugt. Der atheistische Satiriker wurde zum Entsetzen seiner Freunde kirchlich beerdigt.

Zwei Ikonen des alten urbanen Split sind tot. Sie fehlen. Heute kenne er die Stadt kaum wieder, sagt Ljubićić, es herrschten die katholische Kirche und die Korruption. Polizisten verlangten von Cafébesitzern Schutzgelder, alle Jobs würden unter der herrschenden Clique aufgeteilt. Stadtbekannte Kriminelle und Drogenhändler blieben unbestraft.

In Split habe es immer zwei Strömungen gegeben. Die „urbanen“ Menschen – er meint die gebildeten, innovativen, klugen und witzigen – bildeten seit Alters her einen Teil der Stadt, die vor mehr als 1.900 Jahren von dem römischen Kaiser Diokletian gegründet wurde. Aber immer habe es auch die aus dem Hinterland stammenden „Zugewanderten“ mit ihren tradierten ländlichen Normen gegeben. Keine Seite gewann je die Oberhand. Doch das gilt jetzt nicht mehr.

Das urbane Split sei zusammengeschrumpft. „Kenne ich meine Stadt noch?“, fragte Saša Ljubićić auch in einem Artikel in der Tageszeitung Slobodna Dalmacija nach dem vergangenen Wochenende. Die Stadt hatte den 24. Jahrestag der kroatischen Offensive Oluja (Sturmwind) begangen. Am 6. August 1995 hatte die kroatische Armee in nur 72 Stunden die serbischen Truppen aus Kroatien vertrieben, die vier Jahre zuvor fast ein Drittel des Landes erobert hatten. Die nationale Unabhängigkeit des Landes wurde mit dem Sieg gesichert – und das sei sicherlich ein Grund zum Feiern, stellte der Schriftsteller fest.

Viele junge Leute hatten sich versammelt, zuerst war auch alles in Ordnung. Doch was dann geschah, macht Ljubićić zu schaffen. Die Stadt hatte den rechtsnationalistischen Sänger Marko Perković , genannt „Thompson“, zu den Feierlichkeiten eingeladen. Das Konzert endete mit einem Eklat. 70.000 Besucher hoben ihren Arm und riefen „Za dom spremni“ – „Für die Heimat bereit“. Das ist der Gruß des von Hitler und Mussolini unterstützten Ustascha-Staates der Jahre 1941–1945, und er ist in Kroatien verboten – wie der Hitlergruß in Deutschland. Dann zogen aus der aufgestachelten Menge Jugendliche zur Jagd auf Ausländer, sie schlugen zwei dunkelhäutige französische Touristen zusammen. Als andere zu Hilfe eilten, wurden auch sie angegriffen.

„Die Stadt tickt jetzt eben anders als früher“, sagt Ante, ein 40-jähriger Rückkehrer aus Deutschland. „Ich musste mich als kroatischer Junge gegen die Russlanddeutschen durchsetzen“, sagt der muskelbepackte langhaarige gelernte Maler, der in Deutschland mit dem Gesetz in Konflikt geraten war und vor einigen Jahren nach Kroatien zurückgegangen ist.

Ante ist Mitglied der Torcida, der Anhänger des Fußballklubs Hajduk Split. Die Fans sind berüchtigt. Sie sind das Herz der (halb)kriminellen nationalistischen Szene in der Stadt. Bei Konflikten kann Ante sich auf seine „Freunde“ verlassen. Die Polizei traue sich dann nicht einzugreifen. „Alles, was in dieser Stadt zählt, sind Kontakte und Freunde.“

Hat also das urbane Split gänzlich verloren? Die Jugend werde im Geiste eines rabiaten nationalistischen Neokatholizismus erzogen, meint der Schriftsteller Viktor Ivanćić, ehemals Redakteur der Feral Tribune. Er beklagt den Mangel an humanen Werten, nicht nur in Split, sondern in der gesamten Region. Die Jugend, bedauert sogar Ante, „hat keine richtigen Vorbilder mehr“. Mit einem Kaffee im Peristil, dem Zentrum des Diokletianpalasts, innezuhalten und die Schönheit der Architektur zu genießen „gehört trotz allem ganz selbstverständlich zum Leben in Split“, sagt der Schriftsteller. Der Jupitertempel ist nah, die engen Gassen des jüdischen Viertels, der Fischmarkt …