Ärger um Erinnerungsarbeit im Emsland: Der Burgfrieden bröckelt

Die Kooperation zwischen dem „Aktionskomitee Emslandlager“ und dem Landkreis Emsland in der Gedenkstätte Esterwegen droht zu zerbrechen.

Eine Frau geht in Esterwegen (Niedersachsen) über das Gelände der Gedenkstätte des früheren Konzentrationslagers.

Stahlelemente machen in der Gedenkstätte Esterwegen Spuren des ehemaligen Lagers sichtbar Foto: Ingo Wagner/dpa

BREMEN taz | Es ist 18 Jahre her, dass der Landkreis Emsland das bis dahin von der Bundeswehr genutzte Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen übernahm, um dort eine Gedenkstätte einzurichten für die insgesamt 15 emsländischen Konzentrations- und Strafgefangenenlager, in denen während der NS-Zeit vorwiegend politisch Verfolgte und Kriegsgefangene inhaftiert waren.

2011 wurde die Gedenkstätte Esterwegen feierlich eröffnet – aber jetzt, keine acht Jahre später, droht die Kooperation zwischen dem Landkreis als Träger der Stiftung, die die Gedenkstätte betreibt, und dem für die Erinnerungsarbeit verantwortlichen Verein Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager (DIZ) zu zerbrechen.

Denn drei der vier hauptamtlichen DIZ-MitarbeiterInnen sind in diesem Jahr in den Ruhestand gegangen, der Leiter des Zentrums, Kurt Buck, geht Ende des Jahres in Rente und bisher ist beim Verein keine der Stellen neu besetzt worden. Finanziert wurden die MitarbeiterInnen bisher vom Land Niedersachsen, vom Landkreis und von dem mehr als 300 Mitglieder zählenden Verein. Die frei werdende Stelle von Kurt Buck will sich das DIZ auch künftig durch das Land Niedersachsen, genauer gesagt durch die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, finanzieren lassen – aber jetzt beansprucht der Landkreis Emsland diese Förderung für sich. „Es geht im Wesentlichen um die Frage, wer bei einer der wieder zu besetzenden Stellen sinnvollerweise Anstellungsträger ist“, heißt es dazu vom Landkreis.

Eine Antwort auf diese Frage gibt es zumindest aus seiner Sicht bereits: „Wir erkennen durchaus die Verdienste des DIZ in der ersten Aufarbeitung der regionalen geschichtlichen Vorgänge im Nationalsozialismus an. Die Leitung der Gedenkstättenarbeit liegt aber allein bei der eigens dafür gegründeten Stiftung.“ Dabei gäbe es die Gedenkstätte Esterwegen in seiner jetzigen Form ohne das DIZ überhaupt nicht.

Erst 1991 bekam das DIZ Unterstützung

Gegründet wurde es 1981 vom Aktionskomitee für ein Dokumentations- und Informationszen­trum Emslandlager und es bestand aus engagierten BürgerInnen, darunter auch ehemalige KZ-Häftlinge, die sich schon seit den sechziger Jahren um die Aufarbeitung der NS-Geschichte im Emsland bemüht hatten. Viele wurden dafür nicht nur angefeindet, sondern riefen wegen „kommunistischer Umtriebe“ auch den Verfassungsschutz auf den Plan.

Und weil es für ihre Forderung nach einem zentralen Gedenkort für die Emslandlager auch später keine politische und behördliche Unterstützung erhielt, richtete das Aktionskomitee 1985 schließlich auf eigene Kosten das DIZ in Papenburg ein. Mit Ausstellungen, einem stetig wachsenden Archiv, Vorträgen und Führungen informierte es umfassend und ehrenamtlich über die Geschichte der Emslandlager. Später erweiterte das DIZ seine Arbeit um die Auseinandersetzung mit undemokratischen und neofaschistischen Strömungen der Gegenwart.

1991 bekam es endlich Unterstützung: Mit Hilfe des Landes Niedersachsen, des Landkreises Emsland und der Stadt Papenburg wurde ein neues DIZ-Gebäude gebaut sowie die Finanzierung von zwei Personalstellen übernommen. Und 2001 übernahm dann der Landkreis Emsland das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen, um dort eine Gedenkstätte einzurichten – etwas, das das Aktionskomitee immer gefordert hatte.

Ohne das umfassende DIZ-Archiv und die jahrzehntelange Erfahrung der Vereins-MitarbeiterInnen in der politischen Bildungsarbeit wäre der Aufbau der Gedenkstätte kaum möglich gewesen. Das war den Verantwortlichen des Landkreises Emsland bewusst, die das DIZ von Anfang an in das Vorhaben einbezogen – zumindest fast: Denn über den Plan der Einrichtung einer Gedenkstätte hätten er und seine MitarbeiterInnen aus der Zeitung erfahren, sagte kurz vor der Eröffnung der Gedenkstätte Kurt Buck. Ein unglücklicher Start und durchaus bezeichnend für den Umgang des Landkreises mit dem DIZ.

Denn obwohl er stets die gleichberechtigte Beteiligung des Vereins am Aufbau der Gedenkstätte betonte, konnte der Landkreis Emsland schon damals den Eindruck nicht völlig aus der Welt räumen, die „Hoheit über das Gedenken“ für sich zu beanspruchen. So betonte der Kreisarchivar, dass die wissenschaftliche Aufarbeitung der jüngeren Emsland-Geschichte „bereits“ im Jahre 1980 durch die Vergabe zweier Arbeitsaufträge vom Landkreis an die Universität Münster begonnen hätte. Dass Elke Suhr von der Uni Oldenburg als Mitarbeiterin des Aktionskomitees zum Zeitpunkt dieser Vergabe fast schon fertig war mit ihrer Dissertation über die Emslandlager, das verschwieg er.

1933 wurden die KZ Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum fertiggestellt, bis 1937 kamen Aschendorfermoor, Brual-Rhede, Walchum und Oberlangen hinzu, ab 1938 Wesuwe, Versen, Fullen, Groß-Hesepe, Dalum, Wietmarschen, Bathorn und Alexisdorf.

In den Emslandlagern wurden insgesamt 70.000 Menschen inhaftiert, darunter politische Gefangene, Homosexuelle, wehrmachtgerichtlich verurteilte Soldaten und sogenannte Nacht-und-Nebel-Gefangene .

1939 übernahm die Wehrmacht drei Lager und nutzte sie als Kriegsgefangenenlager für weit über 100.000 Soldaten aus der Sowjetunion, Frankreich, Belgien, Polen und Italien. 1944/45 dienten die Lager Dalum und Versen der SS kurzzeitig als Außenlager des KZ Neuengamme. Insgesamt sind in den Emslandlagern rund 30.000 Menschen ums Leben gekommen.

Der wohl bekannteste Inhaftierte des KZ Esterwegen war Carl von Ossietzky, der aufgrund der Spätfolgen der Haftbedingungen am 4. Mai 1938 starb.

Das weltbekannt gewordene „Moorsoldatenlied“ entstand 1933 im KZ Börgermoor.

Der damalige Landrat Hermann Bröring (CDU) sprach vor der Gedenkstätten-Eröffnung von den seit dem Jahr 2003 vom Landkreis durchgeführten Jugend-Workcamps in Esterwegen, die „ein anderes Angebot als die Schülerbildung des DIZ“ darstellen würden. Das DIZ hatte jedoch bereits seit Anfang der 90er-Jahre gemeinsam mit dem Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge solche Work-Camps unter anderem auf dem Lagerfriedhof Esterwegen regelmäßig organisiert. „Natürlich habe ich ein komisches Gefühl, und das wird sicher auch noch ein paar Jahre so bleiben“, sagte Kurt Buck anlässlich der Gedenkstätten-Eröffnung, zeigte sich damals dennoch zuversichtlich: „Ich habe in der Zusammenarbeit bisher in keinster Weise den Eindruck gewonnen, dass der Landkreis die Arbeit die DIZ untergraben will.“

Dieser Eindruck blieb vorerst auch bestehen: Die Gedenkstätten-Stiftung schloss mit dem DIZ, das von Papenburg nach Esterwegen verlegt worden war, einen Kooperationsvertrag ab. Das DIZ arbeitet seither dort und begleitet gemeinsam mit den Angestellten der Gedenkstätte den alltäglichen Besucherdienst. Jens-Christian Wagner von der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten nennt die Kooperation eine „beispielhafte Form der Zusammenführung von bürgerschaftlichem Engagement und staatlicher beziehungsweise kommunaler Verantwortung“.

Andere betrachteten diese Zusammenführung kritischer: „Man hat den Eindruck“, sagte im Jahr nach der Gedenkstätteneröffnung Johanna Adickes von der deutsch-niederländischen Initiative 8. Mai, die jedes Jahr auf dem Lagerfriedhof Bockhorst bei Esterwegen eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus ausrichtet, „dass Kurt Buck in Esterwegen nicht mehr so selbstständig arbeiten kann wie vorher.“

Und nun sind drei der vier hauptamtlichen DIZ-MitarbeiterInnen weg, Buck geht Ende des Jahres ebenfalls. Und es scheint, als hätte der Frieden zwischen dem in klassischen links-antifaschistischen Strukturen verhafteten DIZ und dem immer schon katholischen, CDU-regierten Landkreis nur sechs Jahre gewährt. Denn bereits seit zwei Jahren steht die Frage nach der zukünftigen Kooperation zwischen DIZ und Stiftung im Raum.

„Wir versuchen seither, in einen Austausch mit dem Landkreis zu kommen über die künftige Zusammenarbeit“, sagt der Kölner Historiker Habbo Knoch, der den DIZ-Verein leitet. „Wir haben mitgeteilt, dass wir uns auch künftig engagieren wollen, aber auch auf wiederholte Nachfrage hat der Landkreis nicht mit uns kommuniziert.“ Statt dessen, sagt Knoch, habe der einen eigenen Weg eingeschlagen mit dem Versuch, die Finanzierung durch das Land Niedersachsen künftig für die Stiftung – also für sich – zu gewinnen. „Das wiederum warf natürlich die Frage auf, welche Rolle dem DIZ noch zukommen soll, inwiefern also der Verein Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht hat – aber auch diese Frage wurde nicht beantwortet“, so Knoch.

Auch der taz beantwortet der Landkreis diese Frage nicht. „Es geht allein um eine neu zu besetzende Stelle“, schreibt Anja Rohde, Sprecherin des Landkreises Emsland. „Über die Finanzierung dieser Stelle sind auf der gemeinsamen Suche nach einer problemorientierten Lösung sachliche Gespräche geführt worden.“ Eine der drei beim DIZ freigewordenen Stellen, nämlich jene, die vom Landkreis Emsland finanziert wird, sei auch bereits neu besetzt worden. Allerdings, und das sagt Rohde erst auf erneute Nachfrage: Die Stelle wurde nicht beim DIZ „nachbesetzt“, sondern bei der Stiftung. Dies sei, so Rohde, „in enger Abstimmung mit dem DIZ“ geschehen.

Habbo Knoch, Vorsitzender des Vereins Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager

„Bei der Gedenkstättenarbeit sollte man so viel Kompetenz wie möglich zusammenbringen“

Knoch weiß davon indes nichts. Das Auswahlverfahren habe zwar unter Beteiligung des DIZ stattgefunden, aber „über die Ansiedlung der Stelle hat es weder eine Abstimmung mit noch die Zustimmung des DIZ-Vereins gegeben. Die Ansiedlung bei Stiftung beziehungsweise Landkreis haben selbige eigenmächtig und ohne weitere Rücksprache vorgenommen“. Der zur Gedenkstätteneröffnung abgeschlossene Kooperationsvertrag zwischen Stiftung und DIZ sei „eigentlich auf Augenhöhe“ angelegt gewesen, sagt Knoch. Davon sei aber nur noch wenig zu spüren. „Der Landkreis argumentiert, der Verein sei ja schließlich Mitglied im Stiftungsrat, allerdings ist das DIZ dort lediglich mit einer Person vertreten und der Rat tagt nur einmal im Jahr.“

Dabei habe das DIZ als Vertreter einer besonderen Perspektive der Aufarbeitung nicht nur sehr viel Erfahrung, sondern ein eigenes Profil und ein eigenes Leitbild in die Arbeit der Gedenkstätte eingebracht, sagt Knoch. „Als Historiker kann ich nur sagen: Bei der Gedenkstättenarbeit sollte man soviel Kompetenz wie möglich zusammenbringen.“ Sollte die Stiftung, also der Landkreis Emsland, diese Arbeit künftig allein machen wollen, „wird er die Gedenkstätte als kommunale, museale Einrichtung behandeln – das wäre sehr schade“.

Es stünde auch noch mehr auf dem Spiel, denn das Sammeln und Archivieren historischer Dokumente gehörte von Anfang an zur Arbeit des DIZ. Ihm gehören Erinnerungsberichte, Dokumente, Briefe, Zeichnungen und Gedichte Hunderter „Moorsoldaten“, mehrere Tausend Dokumente aus deutschen und ausländischen Archiven zu den Emslandlagern, historische Fotos, Tondokumente, Videoaufzeichnungen und Dias zur Geschichte der Lager. „Dieses Archiv gehört dem DIZ und wurde der Gedenkstätte lediglich zur Verfügung gestellt – die Stiftung selbst besitzt keine Sammlung“, sagt Knoch. Der Landkreis halte die Infrastruktur der Gedenkstätte vor.

Die Sammlung gehört dem DIZ

Teile der DIZ-Sammlung sind auch dem Verein lediglich als Leihgabe zur Verfügung gestellt worden, zum Beispiel die „Sammlung Kromschröder/Vinke“, bestehend aus historischen Fotos, Negativen, Tondokumenten mit Interviews, Protokollen und Zeitungsbänden aus den Dreißigerjahren, zusammengetragen von den beiden Journalisten Gerhard Kromschröder und Hermann Vinke. Sie waren in den Sechzigerjahren Lokalredakteure im Emsland und die ersten , die die Geschichte der Emsland-Lager systematisch erfassten und damit, so heißt es in den DIZ-Nachrichten vom 25. März 2006, „die Basis legten für eine emsländische Erinnerungskultur, an die das Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager bei seiner Gründung vor 20 Jahren u.a. anknüpfen konnte“.

Der letzte Satz der schriftlichen Vereinbarung zur Überlassung des Materials zwischen dem DIZ und den beiden Journalisten aus dem Jahr 2006 lautet: „Falls sich die Rechtskonstruktion des Aktionskomitees Emslandlager ändert oder falls Herr Buck nicht mehr Leiter des DIZ ist, behalten sich die Autoren vor, das Material zurückzufordern bzw. die Konditionen neu zu verhandeln.“ Selbstverständlich, bestätigt Gerhard Kromschröder, gelte dieser Satz auch heute noch. Auch er hatte seit Eröffnung der Gedenkstätte stets ein misstrauisches Auge auf die Entwicklung der Zusammenarbeit „und das, was dort momentan geschieht, erfüllt uns mit großer Sorge“. Für eine Entscheidung sei es allerdings noch zu früh: „Wir wollen erst einmal abwarten, wie sich das weiter entwickelt, aber wir halten uns natürlich jede Option offen.“

Ein Auge auf die Geschehnisse hat auch die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten. Man habe, so Jens-Christian Wagner, ein großes Interesse daran, dass die Arbeit in der Gedenkstätte im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Landkreis und DIZ fortgesetzt wird. „Deshalb waren wir auch bereits vermittelnd tätig. Beide Seiten wissen, dass die Finanzierung der Gedenkstättenarbeit in Esterwegen durch unsere Stiftung daran gebunden ist, dass Landkreis und DIZ konstruktiv zusammenarbeiten.“ Er sei aber „zuversichtlich, dass die beiden Seiten auch weiterhin einvernehmlich kooperieren werden, damit die vorbildliche Gedenkstättenarbeit in Esterwegen auf dem bestehenden hohen wissenschaftlichen und pädagogischen Niveau fortgesetzt werden kann“.

Die Autorin dieses Textes hat die Aufarbeitung der NS-Geschichte im Emsland und die Eröffnung der Gedenkstätte Esterwegen begleitet, damals noch als Redakteurin des emsländischen Stadtmagazins „Emskopp“. Für ihren 2011 dort erschienenen Artikel „Die Emslandlager und ihre Folgen: Eine Geschichte von 1933 bis in die Gegenwart“ erhielt sie 2012 den Alternativen Medienpreis

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