Falsch berechnete Umsatzsteuer-Pauschale: Wie Bauern das Finanzamt melken

Kritik vom Bundesgerichtshof: Landwirte nehmen jährlich zusammen 200 Millionen Euro mehr Umsatzsteuer ein, als sie an den Staat weiterleiten.

Ein Feld­häcksler erntet Maispflanzen für eine Biogas­-Anlage in Brandenburg

Geld wie Mais: Ein Feld­häcksler erntet Maispflanzen für eine Biogas­-Anlage in Brandenburg Foto: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

BERLIN taz Viele Bauern klagen gern, dass der Staat ihnen das Leben schwer mache: die ganzen Umwelt­auflagen, die Bürokratie, die Steuern. In Wirklichkeit haben die Landwirte in Berlin eine starke Lobby. Mit ihrer Hilfe schaffen es manche Landwirte, nicht nur Kühe, sondern auch den Staat zu melken. Und das nicht nur über die Agrarsubventionen, die bekanntlich fast alle Bauern von der Europäischen Union bekommen. Zusätzlich nutzen auch große Betriebe eine Ausnahmeregelung im Umsatzsteuerrecht, mit der die Europäische Union eigentlich kleine Höfe fördern wollte.

Zu diesen Absahnern gehören Bauern, die von 2011 bis 2014 Gülle an mehrere Biogas-Anlagen in Niedersachsen lieferten. Dafür erhielten sie den stattlichen Preis von 12,50 bis 13,50 Euro pro Tonne, obwohl auf dem Güllemarkt damals laut Finanzamt nur 3 Euro üblich waren. Die Kraftwerke hatten damit kein Problem, da ihre Betreiberfirma den Bauern selbst gehörte. Der Clou: Wegen des höheren Preises kassierten die Bauern mehr Umsatzsteuer (auch Mehrwertsteuer genannt) bei dem Deal. Anders als bei normalen Unternehmern konnte sich der Staat die Abgabe, die er der Biogasanlage erstattet hatte, aber nicht von den Landwirten holen. So machten sie einen schönen Extra­gewinn. Das geht aus einem Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom März zu dem Fall hervor.

Die Bauern nutzten eine Sonderregelung für die Branche, wonach Landwirte ihre Umsatzsteuer pauschalieren dürfen. Das bedeutet vor allem, dass sie die Steuer nicht ans Finanzamt weiterleiten müssen. Im Gegenzug können sie sich aber auch nicht die Mehrwertsteuer vom Fiskus zurückholen, die sie selbst bei Käufen gezahlt haben. All das soll ihnen Arbeit bei der Steuererklärung, also Bürokratie, ersparen.

Problematisch für den Staat kann das werden, wenn diese Bauern mehr Umsatzsteuer einnehmen, als sie ausgeben. Dann muss nämlich oft nicht ein anderer Steuerpflichtiger, sondern das Finanzamt die Steuer zahlen. Genau das passiert in Deutschland aber massenweise. Denn weil das Bundesfinanzministerium laut Bundesrechnungshof den pauschalen Steuersatz falsch kalkuliert hat, nehmen zwei Drittel der Bauern insgesamt über 200 Mil­lio­nen Euro Umsatzsteuer pro Jahr mehr ein, als sie selbst an das Finanzamt zahlen. Die EU-Kommission sieht dadurch europäisches Recht verletzt. Die deutsche Praxis „führt zu großen Wettbewerbsverzerrungen auf dem Binnenmarkt, insbesondere zugunsten großer Landwirte“, kritisierte die Kommission kürzlich. Sie verklagt die Bundesrepublik deshalb nun vor dem EU-Gerichtshof.

Verstoß gegen EU-Recht?

Eine Richtlinie der Europäischen Union erlaubt den Mitgliedstaaten zwar, bestimmten Bauern eine Umsatzsteuerpauschale einzuräumen. Diese Pauschalregelung ist laut EU-Kommission aber nur für Landwirte gedacht, die bei dem normalen Steuerverfahren „auf verwaltungstechnische Schwierigkeiten stoßen dürften“. Das sind vor allem kleine Höfe, die kaum Personal haben für Bürokratie: also zum Beispiel der kleine Hof ohne Angestellte, dessen Eigentümerfamilie von früh bis spät im Stall oder auf dem Feld steht. Die Regel ist aber nicht gedacht für Landwirte, die an großen Biogasanlagen beteiligt sind und mit Hilfe von hochspezialisierten Steuerberatern Geld von einer Firma in die andere verschieben, um das Finanzamt auszutricksen. Die Richtlinie verbietet zudem, dass die Landwirte insgesamt mit den Pauschalsätzen mehr Umsatzsteuer einnehmen, als sie bei ihren eigenen Käufen zahlen.

Gegen diese Regeln verstoße das deutsche Recht aber, bemängelt der Bundesrechnungshof: Nach seiner Kalkulation hätte der pauschale Steuersatz zum Beispiel von 2013 bis 2015 nur 9,4 Prozent statt der tatsächlichen 10,7 Prozent betragen dürfen. Die Biogasanlagen-Firma der Güllebauern hätte sich also weniger Umsatzsteuer vom Fiskus erstatten lassen dürfen. Der Pauschalsatz müsste laut Rechnungshof 1,3 Prozentpunkte unter dem derzeitigen Tarif liegen.

Hohe Verluste für den Staat

„Diese 1,3 Prozentpunkte entsprechen einem Umsatzsteuerbetrag von über 200 Millionen Euro jährlich“, so die Behörde. Dadurch würden „erhebliche Steuern“ ausfallen, weil „viele Abnehmer“ dieser Bauern sich die gezahlte Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückholten.

Wahrscheinlich tun das die meisten. Denn sonst würden sie wohl bei anderen Bauern kaufen. Brutto sind Produkte der Pauschalbauern nämlich oft teurer. Auf ihre Waren werden ja 10,7 Prozent Umsatzsteuer, auf die meisten landwirtschaftlichen Produkte von Bauern ohne Pauschale aber nur 7 Prozent fällig. Dieser Unterschied kann Unternehmen wie Mühlen, Schlachthöfen oder Molkereien nur dann egal sein, wenn sie sich an die Pauschalbauern gezahlte Umsatzsteuer vom Staat erstatten lassen.

Finanzministerium räumt Fehler ein

Verbraucher, die direkt auf dem Hof kaufen, und Kleinunternehmer mit weniger als 17.500 Euro Umsatz im Jahr können zwar keine Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückbekommen. Aber diese beiden Abnehmergruppen sind klein. Die Landwirtschaft erzielt nur rund 7 Prozent ihrer Erlöse, indem sie Produkte direkt an die Konsumenten verkauft. Der Rest geht an andere Unternehmer. Die rund 200 Millionen Euro ­gehen also wohl weitgehend dem Staat verloren.

Das Finanzministerium hat bereits eingeräumt: Wir haben die Umsätze der Pauschallandwirte zu niedrig angesetzt, als wir ihren Steuersatz berechnet haben. Korrigiert hat es den Pauschalsatz trotzdem nicht. Denn in seiner neuen Rechnung erhöhte das Ministerium nun die angebliche Belastung der Bauern durch Umsatzsteuerzahlungen bei Käufen, sodass das Ergebnis gleich blieb. Doch auch da will der Rechnungshof dem Ministerium Fehler nachgewiesen haben. Nach dem ersten eingestandenen Fehler spricht einiges dafür, dass sich das Ministerium ein weiteres Mal „geirrt“ hat, um das Gesicht zu wahren – oder um die einflussreiche ­Agrarlobby zufriedenzustellen. Das müssen nun die Richter in Luxemburg entscheiden.

Große Betriebe nutzen Regel, die für kleine Höfe gelten sollte

Dabei geht es auch um die Vorwürfe der EU-Kommission, Deutschland gestatte vielen Bauern das Pauschalverfahren zu Unrecht. „Eigentümer großer landwirtschaftlicher Betriebe“ hätten gar keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten, die Umsatzsteuer wie andere Unternehmer einzeln nachzuweisen. Tatsächlich nahmen 2016 laut Bundesrechnungshof von 275.361 in der Statistik erfassten Betrieben 66 Prozent die Pauschalierung in Anspruch. Sind also zwei Drittel der Landwirte in Deutschland kleine Bauernhöfe? Eher nicht: Denn in der gleichen Statistik steht, dass 74 Prozent der erfassten Betriebe eine Buchführung mit Jahresabschluss oder eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung hätten. Buchführungspflichtig sind zum Beispiel große Höfe, die mehr als 600.000 Euro pro Jahr einnehmen. Diese großen Betriebe profitieren also von einer EU-Regelung, die eigentlich kleine Höfe stärken sollte.

Wie das Beispiel der Biogas-Bauern aus Niedersachsen zeigt, bietet dieses Geschenk vom Staat auch Anreize, noch mehr Gülle etwa in sehr großen Schweineställen zu produzieren. Obwohl die viele Gülle oder die daraus entstehenden Gärreste maßgeblich dazu beitragen, dass das Grundwasser in Deutschland häufig stärker mit potenziell gesundheitsschädlichen Nitrat belastet ist als laut EU-Recht erlaubt. Wegen der Nitratbelastung drohen Deutschland nun Strafzahlungen in Millionenhöhe, die nicht nur die Bauern, sondern die Allgemeinheit zu tragen hätten.

Auch andere Steuerprivilegien für Bauern

Trotzdem segnete das Finanzgericht in Hannover das Geschäftsmodell der Biogas-Bauern ab. Und das Bundes­finanzministerium will an den Pauschalen festhalten. „Die Bundesregierung hält die für Land- und Forstwirte geltende pauschale Umsatzbesteuerung für vereinbar mit den europarechtlichen Vorgaben“, teilte das Ministerium der taz mit. „Wir werden daher im anstehenden Verfahren vor dem EU-Gerichtshof die geltende Regelung gegen die Vorwürfe der Europäischen Kommission verteidigen.“

Egal wie das Gericht entscheidet – von anderen Steuerprivilegien werden deutsche Landwirte weiter profitieren. Ende Juli beschloss das Kabinett die sogenannte Gewinnglättung. Landwirtschaftliche Einkünfte sollen nun auf Grundlage des durch­schnittlichen Gewinns in drei Jahren besteuert werden. So können Bauern einen niedrigeren Steuersatz erreichen, als wenn sie die guten Jahre einzeln versteuern müssten. Und schon länger bekommen Bauern die Mineralölsteuer auf Agrar­diesel teilweise erstattet.

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