Deutsche Bioökonomie-Strategie: „Allgemeines Wellnesspapier“

Wie soll die wirtschaftliche Nutzung von Rohstoffen aus lebenden Organismen geregelt werden? Der erste Entwurf der Bundesregierung bleibt vage.

Algen in einer Mikroalgenfarm

Bioökonomie: In Mikroalgenfarmen wird einer der Rohstoffe der Zukunft gezüchtet Foto: dpa

BERLIN taz | Waschmittel, deren reinigende Enzyme von gentechnisch veränderten Bakterien hergestellt werden; Kunststofftüten aus Mais; Lebensmittelzusätze aus Algen – das alles sind Beispiele für die Bioökonomie. Bio meint hier nicht öko, sondern beschreibt eine Wirtschaftsweise, die auf Rohstoffe lebender Organismen – Pflanzen, Tiere, Pilze oder Bakterien – setzt.

Das machen zwar Kartoffelbauern auch, allerdings kommt in einer Bioökonomie der Technikaspekt dazu: Wissensgetrieben und innovativ soll sie sein, gern verknüpft mit dem zweiten großen Industriethema derzeit, der Digitalisierung.

Rund eine Million Menschen arbeiten laut dem Branchenfachdienst Nova-Institut in der heimischen Bioökonomie im engeren Sinn; sie erzielt einen Umsatz von rund 136 Milliarden Euro jährlich. Die Erwartungen der Branche an die Politik sind groß: Schließlich sieht sie sich als Lösung vieler aktueller Nachhaltigkeitsprobleme – Stichwort: Abkehr vom Erdöl. Die Unternehmen erwarten mehr Unterstützung bei der Forschung und bessere Rahmenbedingungen, etwa in Bezug auf das Gentechnikrecht.

Zugleich beäugt die kritische Zivilgesellschaft aus Umwelt- und Entwicklungsverbänden die Bioökonomie insgesamt mit Misstrauen. Daher wurde die Strategie, nach der die Bundesregierung ihre Bioökonomie-Politik künftig ausrichten will, von beiden Seiten mit Spannung erwartet. Nun haben Forschungs- und Landwirtschaftsministerium, mit einigen Monaten Verspätung, einen ersten Entwurf zur Diskussion gestellt.

Potenzial für nachhaltiges Wirtschaften und zur Innovation

An vielen Stellen betonen die Ministerien das Potenzial der Bioökonomie, die Wirtschaft nachhaltiger zu machen. Diese könne „ganz neuartige Produkte und Verfahren hervorbringen, um Ressourcen zu schonen und Wohlstand zu schaffen“. Sie zählen die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen auf, zu denen die Bioökonomie beitragen soll, etwa die Beseitigung des Hungers oder den Klimaschutz. Von Forschungsförderung über die Beseitigung von Zielkonflikten, wie zwischen der Produktion von Nahrungsmitteln und nachwachsenden Rohstoffen für die Industrie, beschreibt die Strategie den Rahmen künftiger Politik.

„Das ist ein Wellnesspapier, bei Öko- und Sozialthemen sehr allgemein gehalten“, sagt Peter Gerhardt vom Denkhaus Bremen. Zwar werde an vielen Stellen im Text betont, dass die Bioökonomie nicht an sich nachhaltig sei, sondern nachhaltig gestaltet werden müsse. „Wie das konkret aussehen soll, dazu lese ich fast nichts“, sagt Gerhardt.

So wird erwähnt, dass die Zivilgesellschaft in die Dialogprozesse etwa zur Forschung frühzeitig einbezogen werden müsse. Bei dem vorliegenden Entwurf hat das laut Beteiligten aber nicht geklappt: Der von den Ministerien zur Kommentierung einberaumte „zweiwöchige Zeitraum innerhalb der Sommerferienzeit“ sei „in keiner Weise akzeptabel“, schreibt das zivilgesellschaftliche Aktionsforum Bioökonomie empört, dem unter anderem die großen Umweltverbände wie Greenpeace, WWF, aber auch Entwicklungsorganisationen wie das Netzwerk Inkota angehören. Die Verbände kritisieren in ihrer Stellungnahme, dass der Entwurf das „biologisch-ökologische Wissen“ einseitig zu Vermarktungszwecken vermehren will statt „zur Bestimmung der planetaren Grenzen“.

Im Entwurf der Ministerien wird festgestellt, dass der Druck auf landwirtschaftliche Flächen sich noch erhöhen könnte, wenn mehr pflanzliche Rohstoffe genutzt werden. Diese „weitere Zunahme der Flächennutzungskonkurrenzen“ stelle eine große Herausforderung dar, heißt es. Abhilfe schaffen soll die „Nutzbarmachung bisher ungenutzter oder nicht effizient genutzter Flächen“, etwa durch die Bewirtschaftung von Brachflächen, Bergbaufolgeflächen oder derzeit unwirtschaftlicher Standorte.

Wo ist die Obergrenze für Naturressourcen?

Nicola Uhde, Waldexpertin des BUND, sieht das in Bezug auf die Nutzung von Holz äußerst kritisch. „Langfristig müssen für den Erhalt der Natur 10 Prozent aus der Nutzung genommen werden“, sagt Uhde. Zwar könnte man diese Wälder weiter zur Erholung aufsuchen, doch ihr Holz dürfe nicht genutzt werden. „Es gibt Pilze, Insekten, Flechten und Vögel, die nur in unbewirtschafteten Wäldern leben können“, so die Expertin. Derzeit sind nur 2,8 Prozent der deutschen Waldflächen Naturwälder. Auch von der in dem Entwurf formulierten Forderung nach Züchtung im Wald hält Uhde wenig: „Bei unseren Bäumen haben wir noch eine große genetische Vielfalt, diese gilt es gerade im Angesicht der Klimakrise zu erhalten.“

Ganz andere Sorgen haben die Unternehmen der Biotechnologiebranche, die im Verband Bio Deutschland organisiert sind. In seiner Stellungnahme fordert dieser, das Wirtschaftsressort stärker einzubinden – und explizit auf die Chancen der Gentechnik zu verweisen. Sie besitze das Potenzial, Antworten auf drängende Fragen wie Klimakrise und Ressourcenknappheit zu liefern, daher „sollte dieser Begriff – auch im Hinblick auf Transparenz – im Referentenentwurf zumindest Erwähnung finden“, heißt es in der Stellungnahme. Zudem fordert der Verband, die Politik solle eine „führende Rolle in der notwendigen gesellschaftlichen Diskussion einnehmen, allerdings ohne zur unversöhnlichen Verhärtung der unterschiedlichen Standpunkte beizutragen“.

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