Erstes Urteil im Lügde-Prozess: Menschenverachtung per Livestream

Ein Mittäter wird zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Es stehen jedoch weitere Prozesstage aus – auch gegen den mutmaßlichen Haupttäter.

Polizeiabsperrung steht auf einem Absperrband der Polizei, die das Gebäude auf dem Campingplatz Eichwald, eingrenzt.

Der jahrelange Kindesmissbrauch auf dem Campingplatz war Ende Januar bekannt geworden Foto: dpa

KÖLN taz | „Wie Sie in den Chats über die Mädchen geschrieben haben, ist an Widerwärtigkeit nicht zu überbieten“, sagte die vorsitzende Richterin Anke Grudda. „Sie waren unfassbar gleichgültig und erschreckend empathielos gegenüber den Kindern.“ Über Chats hatte sich der Angeklagte mit einem der mutmaßlichen Haupttäter zur Liveübertragung von Kindesmisshandlung verabredet. Die „Menschenverachtung“ sei „erschreckend“, sagte die Richterin.

Um hundertfache sexuelle und schwere Misshandlung von mehr als 40 Kindern über Jahre hinweg samt Liveübertragung geht es bei den Verfahren am Landgericht Detmold. Am Mittwochabend hat die Strafkammer ein erstes Urteil in einem abgetrennten Verfahren gesprochen. Das Gericht verurteilte den 49-jährigen gelernten Koch und Kraftfahrer Heiko V. aus Stade in Niedersachsen zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung.

In den Jahren 2010 bis 2011 habe Heiko V. an Webcam-Übertragungen teilgenommen, bei denen ein Kind auf dem Campingplatz in Lügde sexuell misshandelt wurde, so das Gericht. Dabei habe er Anweisungen gegeben und vor den Augen des Kindes onaniert.

Verurteilt wurde Heiko V. wegen Anstiftung und Beihilfe zu sexuellem und schwerem Missbrauch von Kindern – und auch wegen des Besitzes von Fotos und Videos, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen. Rund 31.000 Fotos und 11.000 Videos hatte die Polizei bei ihm gefunden.

Mit der zweijährigen Bewährungsstrafe blieb die Kammer unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die hatte eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten gefordert, was Haft bedeutet hätte. Eine Bewährungsstrafe ist nur bis zwei Jahre möglich. Die Rechtsanwältin einer Nebenklägerin hatte drei Jahre und sechs Monate Haft gefordert. Der Verteidiger hatte sich für eine Bewährungsstrafe ausgesprochen.

Vom Hauptverfahren abgetrennt

Zum Prozessauftakt am 27. Juni hatte der Angeklagte Heiko V. – wie die beiden Hauptangeklagten Andreas V. und Mario S. – ein Geständnis abgelegt. Am zweiten Prozesstag hatte das Gericht das Verfahren gegen Heiko V. vom Hauptverfahren abgetrennt.

Im Gegensatz zu den beiden Männern war Heiko V. nie auf dem Campingplatz. Das Gericht wertete sein Geständnis bereits am ersten Prozesstag zugunsten des bislang nicht Vorbestraften. Er selbst habe nie ein Kind misshandelt und inzwischen fast sieben Monate in Untersuchungshaft gesessen.

In ihrer Urteilsbegründung drückte die vorsitzende Richterin Grudda mehrfach ihre Abscheu über die Taten aus – betonte aber auch, dass das Gericht nur die persönliche Schuld des 49-Jährigen zu beurteilen habe. Heiko V. entschuldigte sich erneut bei der anwesenden 19-jährigen Nebenklägerin, die als Kind auf dem Campingplatz misshandelt wurde.

Sie können dankbar sein, dass die junge Frau heute den Mut, die Größe und die Kraft hatte, ihre Entschuldigung persönlich anzunehmen“, sagte Grudda. Auf Anordnung des Gerichts muss Heiko V. der Nebenklägerin 3.000 Euro zahlen. „Wir wissen, dass das Ihr Leid nicht wiedergutmacht“, sagte Grudda. „Sie müssen ein Leben lang mit den Folgen leben.“

Heiko V. sei nicht pädophil

Die Auflagen der Bewährungsstrafe von Heiko V. gelten für die nächsten drei Jahre. Über die Zahlung von 3.000 Euro hinaus muss er sich einer Therapie unterziehen. Der Gutachter Bernd Roggenwallner hatte ihn zum Auftakt für voll schuldfähig erklärt. Heiko V. sei nicht pädophil.

„Sein Sexualleben ist auffällig, aber nicht krankhaft“, so Roggenwallner. Eine Therapie halte er aber für sinnvoll, weil die Gefahr eines Rückfalls nicht ausgeschlossen werden könne. Heiko V. hatte bereits im Verfahren erklärt, eine Therapie machen zu wollen. Nach Angaben des Gerichts habe seine Lebensgefährtin bereits nach Behandlungsmöglichkeiten gesucht.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft hat am Donnerstag Antrag auf Revision gestellt. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Haupttäter und Dauercamper auf dem Campingplatz in Lügde wird am 1. August fortgesetzt. Ein Urteil in diesem Hauptverfahren wird im selben Monat erwartet.

Anm. d. Red.: Der Beitrag wurde am Donnerstag um 15:30 Uhr aktualisiert.

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