Eine Tour-Debatte? Ohne Doping?

Wie viel bringt es tatsächlich, ein paar Sekunden im Windschatten eines Kamera-Motorrads zu fahren?

Aus Saint-Flour Tom Mustroph

Die Tour de France hat eine Debatte. Als Julian Alaphilippe und Thibaut Pinot im Finale der 8. Etappe aus dem Favoritenfeld plötzlich davonstoben, hinterließen sie nicht nur erstaunte, sondern auch verärgerte Rivalen. „Als es über die Kuppe ging, fuhr dicht vor den beiden für ein paar Sekunden ein Motorrad. Wir hatten keines. In einer solchen Situation kann auch nur ein wenig Windschatten bereits ein entscheidender Vorteil sein“, sagte Jakob Fuglsang. Der Däne war bereits im Frühjahr der Dauerrivale von Alaphilippe. Beide lieferten sich packende Duelle bei den Klassikern. Meist ging es besser aus für den Franzosen. Einmal immerhin gewann auch Fuglsang, bei Lüttich–Bastogne–Lüttich. Er kennt Alaphilippes Art zu attackieren wohl am besten von allen Kontrahenten. Er betonte aber auch, nichts gegen Alaphilippe persönlich zu haben. „Ich beschuldige hier keinen Fahrer. Mir geht es mehr um die Motorradfahrer. Sie haben sich aus dem Rennen herauszuhalten“, betonte der Astana-Profi.

Alaphilippe reagierte zunächst dennoch leicht beleidigt auf den Vorwurf. „Ja, klar, ich habe einen großen Motor eingebaut“, sagte er. Und weil sich die Debatte nun schon über einige Tage hinzieht, bezeichnete er die Vorwürfe wiederholt als „bullshit“.

Es geht um entscheidende Sekunden

Tourorganisator ASO reagierte sprachlich auf einem anderen Niveau, in der Sache unterstützten die Ausrichter aber den Landsmann und neuen Nationalhelden. „Es gab keine offizielle Beschwerde von einem der Teams und auch keine Entscheidung der Jury dazu“, meinte Thierry Gouvenou, Streckenplaner der ASO.

Wie groß der Vorteil an der betreffenden Stelle gewesen sein mag, ob es überhaupt einen in dieser spezifischen Rennsituation gab, konnte bislang nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Ein latentes Problem im Straßenradsport ist die Hilfe durch den Windschatten von Begleitfahrzeugen aber doch. Das UCI-Reglement schreibt deshalb klar vor: „Kameramotorräder müssen ihre Arbeit ohne Einfluss auf das Rennen durchführen.“ Einen Mindestabstand gibt das Reglement aber nicht an. „Das ist schlecht, denn ein Mindestabstand könnte helfen“, meint Aike Visbeek, Trainer bei Team Sunweb. „Wir haben auch in der Vergangenheit zu viele Situationen gehabt, in denen die Motorräder einen Einfluss auf das Rennen hatten. Oftmals geht es nur um Sekunden. Und dann können Windschattenvorteile tatsächlich beträchtlich sein“, sagte der Niederländer der taz. Er schlug einen Mindestabstand von 40 Metern in rennentscheidenden Situationen vor.

Der Vorschlag deckt sich mit den Ergebnissen einer aktuellen Studie der Universität Eindhoven. Da wurde bei einem Abstand zwischen Motorrad und Radfahrer von 50 m bei einer Geschwindigkeit von 54 km/h ein Vorteil von 1,4 Sekunden gemessen. Der Vorteil tritt allerdings erst bei einer Minute Windschattenfahren ein.

Bei kürzeren Abständen sind die Einsparungen aber beträchtlich. Bei einem halben Meter Abstand können 71 Prozent des Gegenwinds eingespart und durch die erhöhte Geschwindigkeit bis zu 29,3 Sekunden Zeit gutgemacht werden. Pro Minute ist ein Rennfahrer im Windschatten also eine knappe halbe Minute schneller als weiter entfernte Rivalen. Bei zweieinhalb Metern besteht der Gewinn immerhin noch 14 Sekunden pro Minute, bei 10 Metern 5 Sekunden. Visbeek fordert daher, dass die Rennkommissäre schneller eingreifen und Kameramotorräder wegschicken.

Das konfligiert allerdings mit dem Grundinteresse der Organisatoren. Sie wollen schöne TV-Bilder produzieren, so nah wie möglich an den Rennfahrern dran – und vor allem dann, wenn das Rennen spannend wird. Ein grundsätzlich unauflöslicher Zielkonflikt, der bestenfalls abgemildert werden kann.