berliner verkäuferinnen – und wie sie den laden hier am laufen halten
: Heute: Sibylle von der Neustadt

Sibylle von der Neustadt Foto: Dorothee Wenner

Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht“, meint die erfahrene Floristin, wenn sie „Blumen Dilek“mit den deutschen Geschäften vergleicht, in denen sie vorher gearbeitet hat. „Die hatten gerade mal 20 Rosen pro Vase, wir haben hier 100 – und dazu viel mehr Sorten.“

Seit zwölf Jahren gehört Sibylle von der Neustadt zum Team des einzigen Blumenladens Berlins, der 24 Stunden geöffnet hat und der entsprechend bekannt ist beim rbb, bei Taxifahrern und in Hotels, die öfter mal zu ungewöhnlichen Uhrzeiten opulente Sträuße brauchen. Zuerst sei es für sie eine krasse Umstellung gewesen in einem türkischen Laden zu arbeiten, viele Stammkunden hätten sie anfangs ignoriert. Erst nachdem die männlichen Kollegen ihren Landsleuten versicherten, die Deutsche verstehe vom Fach ebenso viel wie sie, „waren die Barrieren gebrochen. Inzwischen kenne ich den Geschmack, heute ist es für mich selbstverständlich, dass wir – ich nenn sie mal ‚Türkensträuße‘ – stets fertig zum Mitnehmen im Sortiment haben. Gestaffelt gebunden, kontrastreich, gern zum Beispiel rote Rosen und weiße Lilien, Manschette – und vor allem: in Folie verpackt mit Schleifen!“

Die aus Norddeutschland stammende Sibylle von der Neustadt favorisiert Ton-in-Ton-Kompositionen, drängt ihren Geschmack aber niemandem auf. Einer Braut, die ihre Hochzeitsdeko in Auftrag gibt, empfiehlt sie eine Symphonie in hellem und dunklem Rosa, dazu Schleierkraut. Das würde gut zu ihr passen, „Sie sind ja selber so zart.“ Wie das Tattoo, das unter dem Shirt der jungen Türkin hervorblitzt. Im Beratungsgespräch wird dezent von Frau zu Frau geflüstert, Hochzeitsflorisitik ist die Königsdisziplin. Der Bräutigam wartet geduldig draußen, an der belebten Ecke Adalbert-/Oranienstraße.

Die Kundschaft bei Blumen Dilek ist aber nicht nur türkisch, sondern international – und sozial extrem durchmischt. Eine Herausforderung für FloristInnen, denn die Sprache der Blumen funktioniert mit kulturell sehr unterschiedlichen Codes. Angstfrei und vorbehaltlos muss man bei Blumen Dilek sein, das äußere Erscheinungsbild der Kunden lässt in diesem Laden keine vorschnellen Schlüsse auf ihr Kaufverhalten zu. Die Intellektuelle im Designerfummel verlangt eine einzelne Orchidee, während ein polnischer Bauarbeiter in Montur, ohne auf den Preis zu achten, das prächtigste Gebinde wählt. „Und dann gibt es bei uns die Kunden, die nach 1 Uhr nachts kommen. Während ich den Strauß binde, ruft der seine Frau an und verspricht, ‚Schätzchen, ich komm gleich‘, aber man weiß schon: Das dauert noch, und der braucht was in der Hand, damit zu Hause nicht rumgezickt wird.“

Sibylle von der Neustadt war früher Kürschnerin. Als der Beruf „wegen Tierschutz usw.“ ausstarb, suchte sie nach einer Alternative. Sie wollte weiterhin kreativ tätig sein und machte die zusätzliche Ausbildung als Floristin. „Auch wenn mich ab und zu Kunden mit ’ner Psy­chiaterin verwechseln, ich bleibe freundlich und habe hier jeden Tag meinen Spaß. In einem Büro würde ich eingehen wie ’ne Primel.“ Dorothee Wenner