Das ist doch Mist

Norddeutschland hat die höchste Belastung mit Nitraten in Boden und Gewässern. Auch das Trinkwasser ist in zunehmendem Maße betroffen, räumt die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen ein. Abhilfe schaffen könnte die noch immer verweigerte Agrarwende

Lecker ist anders: Ein Bauer bringt Gülle auf seinem Feld aus Foto: Patrick Pleul/dpa

Von Sven-Michael Veit

Am giftigsten ist es in Kittlitz. Der kleine Ort am Nordrand des Naturschutzgebietes Schaalsee an der Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern weist die höchste Nitratbelastung im Grundwasser in ganz Norddeutschland auf. 251 Milligramm pro Liter (mg/l) sind an der dortigen Messstelle nachgewiesen worden. So steht es in der aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion nach Gebieten mit hoher Schadstoffbelastung.

Kaum weniger schlimm ist es in Nordel und Bahrenholz in der Mitte zwischen den beiden größten niedersächsischen Seen Steinhuder Meer und Dümmer oder in Echtelerfeld westlich von Lingen und Nordhorn an der niederländischen Grenze. An all diesen Orten liegt die Nitratbelastung des Grundwassers mit Werten von 212 bis 243 mg/l weit über dem zulässigen Grenzwert. Der beträgt lediglich 50 mg/l. Insgesamt listet die Antwort unter den 50 am stärksten mit Nitrat kontaminierten Orten Deutschlands 34 in Norddeutschland auf: Drei in Schleswig-Holstein, sieben in Mecklenburg-Vorpommern und 24 in Niedersachsen.

Von „Nitratdurchbrüchen an vielen Stellen“ spricht Oliver Krischer, Fraktionsvize und Umweltpolitiker der Grünen im Bundestag. Im Vergleich zu den Messergebnissen von 2015 habe sich der Durchschnitt der 15 am stärksten belasteten Orte „von 170 auf 209 mg/l“ erhöht. Das sei „absolut problematisch“, findet Krischer. „Zunehmend dringen die Pestizide aus dem Obst- und Gemüseanbau ins Grundwasser vor.“ Denn sowohl in Gülle als auch in Pestiziden befindet sich Ammoniak, das sich im Boden in Nitrat umwandelt.

In der Landwirtschaftspolitik müsse Deutschland deshalb sehr schnell neue Wege gehen, fordert die umweltpolitische Sprecherin der Bundestags-Grünen, Bettina Hoffmann: „Dies bedeutet ein Ende der indus­triellen Massentierhaltung und die Bindung des Viehbestands an die Fläche auf ein umweltverträgliches Maß.“

Den ökologischen Zustand der Flüsse in Norddeutschland klassifiziert die Bundesregierung wie folgt:

sehr gut: 0

gut: Mecklenburg-Vorpommern (MV) 29, Niedersachsen (Ni) 24, Schleswig-Holstein (SH) 37

mäßig: Bremen (HB) 6, Hamburg (HH) 22, MV 352, Ni 424, SH 457

unbefriedigend: HB 4, HH 1, MV 310, Ni 692, SH 67

schlecht: HB 2, MV 148, Ni 382, SH 27

Bei Seen ist der Zustand:

sehr gut: MV 10

gut: MV 25, Ni 9, SH 12

mäßig: HH 1, MV 82, Ni 8, SH 20

unbefriedigend: MV 55, Ni 6, SH 30

schlecht: HH 1, MV 29, Ni 4, SH 11

Eigentlich hätten alle Mitgliedstaaten der EU bereits bis 2015 einen guten ökologischen Zustand ihrer Gewässer erreichen sollen, müssen dies aber spätestens bis 2027 nachweisen. Das fordert die europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Grundwasser und Oberflächengewässer sollen demnach frei von Schadstoffen und zu vielen Nährstoffen sein.

Schon im April 2016 hatte die EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen Deutschland eingereicht, weil hier die EU-Nitratrichtlinie nicht umgesetzt werde und zu hohe Nährstoffeinträge in die Gewässer gelängen. Deutschland hätte schon seit Jahren für strengere Maßnahmen gegen die Verschmutzung sorgen müssen, argumentiert die Kommission: Die Nitratrichtlinie sei immerhin schon seit 1991 in Kraft.

Dennoch ist rund ein Drittel der Fläche der Bundesrepublik von Überdüngung betroffen, in Schleswig-Holstein ist es sogar die Hälfte und in Niedersachsen sind es mehr als 60 Prozent. Dass „Belastungen durch Nitrat aus der Landwirtschaft“ die Hauptursache für schlechte Wasserqualität seien, hatte die Bundesregierung bereits vor drei Jahren eingeräumt.

Durchringen konnte sich die damalige große Koalition aber im Februar 2017 lediglich zu einer moderaten Überarbeitung des Düngegesetzes. Auf dieser Grundlage definiert eine neue Düngeverordnung Obergrenzen für die Stickstoffdüngung in Gebieten mit kritischen Werten. Zudem sollen vorgeschriebene Abstände zu Gewässern ausgeweitet werden. Die neue Düngeverordnung sei ein „ausgewogener Ausgleich“ zwischen Umweltschutz und den Anforderungen der bäuerlichen Praxis, verlautete damals aus dem Bundesagrarministerium.

„Zunehmend dringen die Pestizide aus dem Obst- und Gemüseanbau ins Grundwasser vor“

Oliver Krischer, Grüne

Zugleich werden seitdem Bauern per „Stoffstrombilanzverordnung“ verpflichtet, nachzuweisen, wie viel Stickstoff in ihren Betrieb fließt und wie viel ihn wieder verlässt. Künftig soll erfasst werden, welche Mengen Gülle, Mist und Kot abgegeben und genutzt werden. Großbetriebe mit hohem Viehbestand müssen diese sogenannte Stoffstrombilanz bereits seit vorigem Jahr vorlegen, alle anderen erst ab 2023. Wegen vieler Ausnahmen kritisieren Umweltverbände die Novelle als zu lasch.

In der Konsequenz befürchten Umweltgruppen, der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und auch das Umweltbundesamt steigende Kosten für Trinkwasser. Grundwasserleiter seien mit Nitraten hoch belastet. Das Wasser aus hoch belasteten Grundwasserleitern müsse schon bald teuer aufbereitet werden. Laut einer aktuellen BDEW-Studie könne dies die Trinkwasserkosten um 55 bis 76 Cent pro Kubikmeter erhöhen. Das entspreche einer Preissteigerung von 32 bis 45 Prozent. Eine dreiköpfige Familie müsste dann bis zu 134 Euro im Jahr mehr bezahlen.

In einigen Regionen würden Wasserversorger bereits mit Nitrat belastetes Grundwasser mit sauberem Wasser mischen, weil es dort sonst für Säuglinge gesundheitsgefährdend wäre, sagt die grüne Umweltpolitikerin Hoffmann. „Kleinteiliges Rumdoktern“ an der Düngeverordnung reiche nicht aus: „Für einen echten Schutz unseres Grundwassers braucht Deutschland eine klare Neuausrichtung der Agrarpolitik.“