berliner szenen
: Was an die Saloschins erinnert

Durch den Spielplatzzaun sah ihn ein Mädchen an. Wie in Zeitlupe strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. Wenn ich jetzt lache, lacht sie auch. Vor dem Krieg stand hier ein Haus, in dem das Ehepaar Saloschin wohnte. Die Frau führte einen Handtuchverleih, der Mann war Angestellter im Kaufhaus Friedländer & Maas. Seit 33 Jahren bewohnten sie drei Zimmer im vierten Stock, als die Gestapo kam. Von Theresienstadt ging es 1942 nach Treblinka, wo man die Saloschins sofort vergaste.

Vor ihm auf dem Boden waren vor Kurzem zwei Pflastersteine entnommen und durch sogenannte Stolpersteine aus blankem Messing ersetzt worden, in die Namen und Geburtstage der Saloschins, Zeitpunkt und Ort ihres Todes eingeschlagen waren. Ein paar vertrocknete Rosen lagen da. Der Spielplatz war vor drei Jahren angelegt worden. Vorher waren hier Garagen gewesen und ein Überdach, wo alte Möbel lagerten, Fahrräder und Kohlenbündel. Es hatte ein Kabuff gegeben, in dem ein Mann hauste. Er setzte Möbel und Räder instand. Das Mädchen sah ihn immer noch an, der weiter die Steine ansah. Sie sind alles, was an die Saloschins erinnert. Irgendwo unter ihnen lagen die Reste der Mauern, in denen die Saloschins gelebt, geschwitzt und gefroren hatten, geatmet, gelacht, geweint, geschlafen und geliebt. Vielleicht war doch mehr übrig von ihnen, eine Haar- oder Krawattennadel, eine Münze, ein Stück Draht oder Porzellan, ein Werkzeug, ein Knopf.

Er spürte das Rumpeln der U-Bahn unter sich, hob den Kopf, das Mädchen drehte sich um und lief weg. Sie läuft da, wo Frau Saloschin ihre Wäsche zum Trocknen aufhängt, sie springt da, wo Herr Saloschin seine Pfeife stopft. Und ich stehe hier, wo die beiden aus dem Haus kommen. Eine Wagentür schlug, und er zuckte zusammen.

Sascha Josuweit