CSU wirkt derzeit weniger wahnsinnig: Von Opportunisten lernen

Seehofer gibt plötzlich den Staatsmann, Söder den Obergrünen. Prinzipienlos? Mag sein. Aber so könnte moderner Konservatismus aussehen.

Zwei Männer, Söder und Seehofer

Mia san grian? Ach was Foto: dpa

Wer wissen will, wie moderner Konservatismus im Jahr 2019 aussehen könnte, sollte nach München schauen. Von Franz Josef Strauß stammt ja das Bonmot, dass der Konservatismus an der Spitze des Fortschritts marschiere. Horst Seehofer und Markus Söder führen gerade vor, wie so etwas in der Jetztzeit aussehen könnte. Sie bewerben die CSU neuerdings als ergrünte Rechtsstaatspartei, als habe es die jahrelange, reaktionäre Fixierung auf das Flüchtlingsthema nie gegeben.

Da wäre Seehofer, der Bundes­innenminister, der nach dem Mord im Frankfurter Hauptbahnhof viel richtig gemacht hat. Was kann, was soll Politik tun, wenn ein Mann ein achtjähriges Kind vor einen Zug stößt? Seehofer machte es vor, empathisch, besonnen und mit Gespür für Symbolik. Er unterbrach seinen Urlaub, organisierte eine Pressekonferenz mit den Chefs der wichtigsten Sicherheitsbehörden. So gab er dem Fall die Bedeutung, die er verdient.

Denn ja, nach dem Mord in Frankfurt durfte die Politik nicht zur Tagesordnung übergehen. Natürlich ist es wahrscheinlicher, vom Blitz erschlagen als Opfer einer solchen Irrsinnstat zu werden. Und man muss stets betonen, dass es selten sicherer war, in Deutschland zu leben – die Zahl der Straftaten ist auf ein Rekordtief gesunken.

Dennoch fühlen sich immer mehr Menschen unsicher. Zwischen der tatsächlichen und der gefühlten Sicherheit klafft eine Lücke. Ein Innenminister, der solche Ängste nicht ernst nimmt, wäre fehl am Platze.

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Seehofer zog dabei eine präzise Linie zwischen Demokraten und Rechtspopulisten, indem er mehrmals betonte, dass der Mord keinen Anlass gebe, ausländerrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Das zielte auf die rechten Demagogen in der AfD, die den traurigen Anlass nutzten, um gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik zu hetzen.

Aber der mutmaßliche Täter ist ein 40-jähriger Eritreer, dem 2008 Asyl in der Schweiz gewährt wurde. Mit Merkels humanitärer Geste aus dem Jahr 2015 hat der Fall nichts, rein gar nichts zu tun.

Resümee der Landtagswahl 2018

Kurz: Seehofer verhält sich gerade wie ein konservativer Staatsmann. Er vertritt harte Law-and-Order-Politik, wirbt etwa für mehr Polizisten und Videokameras, spart sich aber Ausflüge in den Rechtspopulismus. Alle wissen, dass das noch vor Jahresfrist anders war. Seehofer hat die Polarisierung der Gesellschaft, die er heute beklagt, selbst befördert, indem er Migration zur „Mutter aller Probleme“ hochjazzte. Manch frühere Attacke gegen Merkel war von denen der AfD nicht zu unterscheiden.

Der CSU-Chef lässt staunen: günstigere Bahnfahrkarten, Verbot von Plastiktüten, Klimaschutz ins Grundgesetz

Auch CSU-Chef Markus Söder ist kaum wiederzuerkennen. Günstigere Bahnfahrkarten, Verbot von Plastiktüten, Klimaschutz ins Grundgesetz – der Bayer feuert fast täglich neue Vorschläge für eine ökologischere Welt. Weil er weiß, dass Bilder zählen, lässt er sein Kabinett unter grünen Platanen im Münchner Hofgarten beraten. Es steht zu befürchten, dass er sich für seine nächsten Auftritte in Claudia-Roth-Roben hüllt.

Söders Kehrtwende ist sein Resümee der Landtagswahl 2018, bei der die CSU 190.000 WählerInnen an die Grünen verlor. Auch in puncto Rechtsstaatlichkeit lässt Söder nichts mehr anbrennen. Kein Unionspolitiker positioniert sich so hart gegen die AfD wie er. Jene sei auf dem Weg zu einer neuen NPD, sagte er neulich. Es ist noch nicht lange her, dass er selbst ­gegen angeblichen „Asyltourismus“ polemisierte.

Man kann Seehofer und Söder für ihre Opportunismus kritisieren, und tatsächlich ist die Schamlosigkeit, mit der sie sich neu erfinden, atemberaubend. Aber das wäre zu einfach. Parteien müssen Wandel akzeptieren und durchlässig sein für Wünsche der Menschen. Die CSU, so scheint es, hat verstanden. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die sich ratlos durch die bundespolitische Landschaft tastet, kann von ihr lernen. Das Land braucht einen Konservatismus, der Klimaschutz wichtig findet und engagiert gegen die AfD kämpft.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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