Trump und seine Tweets: In der Comeback-Stadt

Der Präsident der USA erklärte Baltimore zum „verseuchten Drecksloch“. Wie die Bewohner der Stadt auf diese Beleidigung reagieren.

Ein Junge fährt in der Stadt Baltimore mit seinem Fahrrad vor einer bunt bemalten Wand

So sieht es also in der Stadt aus, in der laut Trump kein Mensch leben will. Ziemlich stylish! Foto: ap

BALTIMORE taz | Wer Lust auf klare Worte, Flüche und Drohungen gegen Donald Trump hat, sollte nach Baltimore fahren. In der eine Autostunde östlich von Washington gelegenen Hafenstadt sind gerade viele wütend auf den US-Präsidenten. „Er ist krank im Kopf“, kann frau dort von einer Busfahrerin über den US-Präsidenten hören. „Ein Idiot“, von einem Bauarbeiter. „Ein Rassist“, von einer Professorin, einem Obdachlosen, einer Geschäftsfrau und beliebig vielen anderen Baltimorern.

In der Lokalzeitung Baltimore Sun ist zu lesen: „Lieber ein paar Ratten haben als selbst eine Ratte sein“. Und ein nervöser junger Typ, der an einer Ecke auf und ab geht, knurrt: „Der sollte sich hier besser nicht sehen lassen.“

Trump hat die Wut in der 620.000-Einwohnerstadt auf seine übliche Art losgetreten: Er schrieb eine Salve von Tweets. Dieses Mal nahm er den schwarzen Demokraten Elijah Cummings, der seit 1996 Baltimore im US-Repräsentantenhaus vertritt, ins Visier. Der Präsident nannte den beliebten Abgeordneten einen „brutalen Bully“ und holte zu einem Rundumschlag gegen dessen Stadt mit ihren mehrheitlich schwarzen Bewohnern, aus: Baltimore sei ein „widerliches, von Ratten und Nagetieren verseuchtes Drecksloch“, in dem „kein Mensch leben möchte“.

In den Folgetagen setzte Trump immer noch einen drauf. Beschrieb die Stadt als „drogenverseucht“, „gefährlich“, „korrupt“ und „kriminell“, behauptete, „die Afroamerikaner“ seien ihm dankbar und machte seinen Kreuzzug gegen Baltimore zu einem Teil seines Wahlkampfes. Bei einem Meeting in Ohio behauptete er, die Mordrate in Baltimore sei höher als in El Salvador, Honduras und: „ich glaube, auch Afghanistan“.

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Mit der Realität haben Trumps Zahlen nur wenig zu tun. Seine Offensive gegen Cummings und dessen Stadt hat durchsichtige Motive. Der 68-jährige Abgeordnete ist Vorsitzender eines Ausschusses im Repräsentantenhaus, der Trump-Mitarbeiter vorgeladen hat, um ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten vorzubereiten. Außerdem hatte Cummings den Umgang mit den Kindern von Migranten scharf kritisiert. In seinen Tweets rächte sich Trump mit der Behauptung, die Südgrenze sei „sicherer und sauberer“ als Baltimore.

„Trump ist einfach erschöpfend“, seufzt Karsonya Wise Whitehead, die in Baltimore Kommunikationswissenschaften und Afroamerikanische Studien lehrt und an fünf Nachmittagen die Woche ein Talk-Radio-Programm moderiert: „Er pickt ein paar Stückchen Wahrheiten heraus und wickelt sie in Halbwahrheiten und Lügen ein.“

In den Tagen bevor sich Trump auf Baltimore stürzte, hat Whitehead in ihrer Sendung über die vier jungen, progressiven, braunen und schwarzen Frauen aus dem US-Kongress gesprochen, denen Trump geraten hatte, sie sollten „zurück“ in ihre Länder gehen, obwohl drei der vier in den USA geboren sind und die vierte ein Kind war, als ihre Familie aus Somalia floh. Für sie benutzte Trump dieselben Worte wie für Baltimore: korrupt, kriminell, katastrophal und „verseucht“.

Whitehead kennt aus eigener Erfahrung die Aufforderung „geh zurück nach Afrika“ und weiß, dass umgekehrt niemand in den USA auf die Idee käme, zu einer weißen Person zu sagen: „geh zurück nach Europa“. Sie spürt, dass Trump die rassistische Stimmung zusätzlich auflädt, indem er „den Weißen die Erlaubnis erteilt, Dinge zu tun und zu sagen, die offen feindlich gegenüber Schwarzen und Latinos sind“. Whitehead fürchtet, dass die Dinge, die Trump losgetreten hat, nach dem Ende seiner Amtszeit weiter wirken werden. „Manche meinen, dass wir die Entwicklung einer amerikanischen Apartheid erleben“, sagt sie.

„Baltimore Sun“, 28. Juli 2019

„Lieber ein paar Ratten haben als selbst eine Ratte sein“

Baltimore, dessen Architektur und Stimmung zugleich an England und an die Karibik erinnern, ist eine der ältesten Städte der USA. Der Stadtplan ist vor der Erfindung von Autos entstanden. Die Straßen sind gewunden. Und viele alte Backsteinhäuser halten immer noch dem Vormarsch der Wolkenkratzer stand.

Offiziell gehörte Baltimore zum Norden der USA, aber durch seine Plantagen und den Hafen war es so eng mit der Sklaverei verknüpft, dass es im Bürgerkrieg versucht war, auf der Seite der Konföderierten zu kämpfen. Die Folgen von Sklaverei und Rassentrennung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wirken bis heute nach. Rund um den inneren Hafen sind in den letzten Jahren Luxus-Wohnkomplexe, Einkaufszentren und Hotels entstanden. „Goldküste“ nennen die Einheimischen die glänzende Wasserfront, die massive Subventionen und Steuernachlässe bekommen hat. Wenige Blocks weiter nördlich klaffen ausgebrannte oder zugenagelte Fenster in den Reihen von kleinen Backsteinhäusern.

Zur Sanierung dieser Siedlungen und der Tausende von „Zombie-Häusern“ in Baltimore wären dringend öffentliche Gelder nötig. Das Elend in manchen heruntergekommenen Stadtteilen von Baltimore ist heute größer als vor 50 Jahren. Willa Bickham und Brendan Walsh haben ihre Suppenküche an der Mount Street in West-Baltimore 1968 eröffnet. Seither haben die beiden katholischen Aktivisten Generationen von Menschen bewirtet. Über sich selbst sagen die beiden, dass sie sich gegen ihr weißes Privileg und für ein Leben in Armut entschieden haben. In den ersten Jahren an der Mount Street konnte Bickham morgens von den Stufen vor ihrem Haus zusehen, wie ein Strom von Menschen aus der Nachbarschaft zur Arbeit ging.

Heute sind die Straßen morgens leer. Seit das Stahlwerk, die Textilfabriken und andere große Arbeitgeber, die Tausende beschäftigt haben, weg sind, bestimmen Einsamkeit und Isolation das Leben der Menschen hier, sagt sie. In demselben Zeitraum ist die Zahl jener, die mittwochs zu ihrer Suppenküche kommen von 40 auf oft mehr als 200 gestiegen. Während in den frühen Jahren vor allem ältere Männer über 50, oft mit Alkoholproblemen, kamen, sind an diesem letzten Mittwoch im Juli mehr als ein Dutzend Kinder und viele junge Leute dabei.

Für Bickham ist Trump ein Vertreter der „weißen Macht“, der das harte Los ihrer schwarzen Nachbarn weiter verschärft. Er tut es nicht nur mit Kränkungen und Beleidigungen, sondern auch mit der angedrohten Kürzung von Lebensmittelmarken und anderen Sozialleistungen.

„Elizah“ nennen die Baltimorer ihren Abgeordneten Cummings. Sie wählen ihn seit 1996 und sagen, dass er hart für seine Stadt arbeitet. Sein Wahlkreis setzt sich zusammen aus einigen der ärmsten und einigen der wohlhabendsten schwarzen Stadtteile des Landes. Nach Trumps Attacken, versuchen andere Mitglieder der Republikanischen Partei jetzt, Cummings mitverantwortlich für die politischen Affären in Baltimore zu machen. In weniger als zehn Jahren hat die Stadt zwei Bürgermeisterinnen verloren, die sich im Amt bereichert haben. Der vorletzte Polizeichef kam wegen Steuerhinterziehung hinter Gitter. Aber Cummings’ Popularität steigt. Viele Baltimorer verstehen die Angriffe auf ihn als Angriffe auf sich selbst.

„Ich liebe meine Stadt“, sagt der 17-jährige Jerrod, „auch wenn es hier eine Menge Morde gibt.“ 2018 hat der Rapper unter dem Namen „Smiley the Singer“ seinen ersten Hit „No Fake Friends“ auf YouTube veröffentlicht. Er lebt in einer Sozialwohnung, an den Häuserecken sind Überwachungskameras installiert, auf denen die Aufschrift „Believe“ prangt. Jerrod schert sich nicht darum, was der Präsident sagt: „Er hat hier nie gelebt und er hat keine Ahnung.“

Auch der Galerist und Restaurantbesitzer Kevin Brown schwärmt für Baltimore. „Wir sind eine Comeback-Stadt“, sagt er, „mit einem Mojo, das nicht jeder versteht.“ Natürlich kennt Brown das Rattenproblem. Baltimore hat zwar proportional nicht so viele wie Chicago, New York und Washington. Aber es sind mehr geworden, seit der Müll nur noch einmal die Woche abgeholt wird. Brown spürt auch, dass sich die Sicherheit in Baltimore verschlechtert hat.

Der 59-Jährige hat Karriere gemacht. Er arbeitete als Journalist, Sprecher im Rathaus und Schriftsteller, bevor er in die Gastronomie einstieg. Seine Eltern – eine Fabrikarbeiterin und ein Lkw-Fahrer – waren in einen „integrierten“ Stadtteil mit einer Mehrheit von weißen Familien gezogen, damit ihre 17 Kinder eine Chance auf bessere Schulen hatten. Als Erwachsener zog Brown in eine Welt, zu der ihm als Kind der Zugang verboten gewesen wäre.

Zusammen mit seinem Freund kaufte er ein Haus in dem Nobelviertel Guilford im Norden von Baltimore, dessen Eigentümer noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts die schriftliche Regel hatten: „keine Schwarzen, keine Juden und keine Hunde“. Wenn ihn weiße Nachbarn in Guilford schneiden, bleibt Brown „cool“. Und auch wenn der Wachmann des Motels gegenüber ihn nicht hereinlassen will, um einen Werbezettel für das Frühstück in seinem Restaurant Nancy auszuhängen, wahrt er die Ruhe. „So etwas passiert ständig“, sagt Brown, „ich schicke dann einfach meinen weißen Freund.“

Aber die Worte des Präsidenten „Kein menschliches Wesen möchte in Baltimore leben“ haben Brown tief getroffen: „Für ihn bin ich ein verdammter Außerirdischer.“

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