Jetzt
auch
noch
der Wedding?

Zwischen migrantischem Leben und Modebloggerinnen, zwischen Nachbarschaftspflege und Fast-Mitte-Dasein geht der Wedding seinen eigenen Weg. Aber wohin?44–45

„One United Power“: Street-Art als Beschwörung des Gemeinschaftsgefühls in der Badstraße Foto: André Wunstorf

Unaufgeregter Wedding

Wenn mich jemand fragt, ob ich gerne im Wedding wohne, bin ich etwas verwundert. Für mich ist der Wedding seit über drei Jahren mein Zuhause und ich finde es hier ganz wunderbar. Die Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung mögen zwar nicht so dicht gestreut sein wie woanders, dafür findet man hier fast überall einen gemütlichen Platz und das Publikum ist angenehm untouristisch. Der Kiez wandelt sich aber auch: In letzter Zeit eröffnen immer mehr interessante Lokale. Auch meine Mutter und mein Bruder haben letztes Jahr im Wedding gemeinsam ein Café mit Tattoostudio eröffnet. Von unseren Stammgästen hören wir oft, dass der Kiez durch uns schöner geworden ist. Der Wedding ist vielleicht nicht so hip und cool, dafür aber bunt und laut, an manchen Stellen hässlich, an anderen umso schöner. Ob der Wedding nun kommt oder nicht, ist mir ziemlich egal. Ich bin froh, dass man hier unabhängig von Trends entspannt und bezahlbar wohnen kann. Sehnt man sich doch mal nach Trubel, ist man schnell in Mitte oder Kreuzkölln. Und selbst dann: Am Ende jeder Nacht freue ich mich, wieder nach Hause zu kommen, in meinen unaufgeregten, wunderbaren Wedding.

Valerie Kottmann, 29, Studentin

Wedding schmeckt nach Istanbul

Meine Mutter lebt in Istanbul, ich im Wedding. Obwohl sie kein Wort Deutsch spricht und nur ein wenig Englisch, bin ich total entspannt, wenn sie zu Besuch kommt. Braucht sie Zigaretten? Dann geht sie einfach zum Späti, spricht auf Türkisch, kauft ihre Zigaretten und bringt mir eine Club Mate mit. Wenn sie Lust hat, kauft sie frisches Gemüse bei Eurogıda und kocht Dolma für uns. Auf dem Weg zurück unterhält sie sich bei der Bäckerei mit der netten Verkäuferin. Wenn wir essen gehen, fragt sie den Kellner bei Pamfilya, ob er bei der letzten Wahl seine Stimme abgegeben hat. Meine Mutter ist im Wedding eine bessere Journalistin als ich: Wer auf der Müllerstraße den neuen Bürgermeister von Istanbul unterstützt, wer seit mehr als 30 Jahren im Wedding wohnt, wer letztes Jahr Urlaub im türkischen Badeort Bodrum gemacht hat – all das weiß sie genau. Wenn meine Mutter dann zurückfliegt, frühstücke ich am Sonntag darauf bei Simit Evi. Die Simits dort sind nicht so knusprig wie bei den Straßenverkäufern in Istanbul – nicht so, wie es meiner Mutter gefällt. Trotzdem schmecken sie nach Istanbul.

Burçin Tetik, 34, Journalistin

Wedding hat mich politisiert

In meiner Nachbarschaft gibt es plötzlich so viele Studis. Das bereitet mir zunehmend ein beklemmendes Gefühl. Dabei habe ich selbst vor acht Jahren als Studentin im Wedding ein bezahlbares Zuhause gefunden. Ich lebe gerne hier. Es ist laut und trotzdem unaufgeregt. Ich weiß, die Studis sind nicht das Problem. Das Problem sind Menschen, die die Stadt verkaufen und sich selbst bereichern. Ein Beispiel: Nach Aufwertung des Stadtbads Wedding durch eine Zwischennutzung von Künstler*innen und dem Club Stattbad wurde die Immobilie für ein Vielfaches verkauft. Es wurden 20-Quadratmeter-Mikroapartments für Studierende errichtet, die jetzt zu einem Quadratmeterpreis von 23 € (kalt!) vermietet werden. Kaum einer im Wedding kann sich das leisten.

In einem anderen Mikroapartment im nördlichen Teil des Weddings lebt bereits eine fünfköpfige Familie, weil die Alternativen fehlen. Die Wut über den Ausverkauf der Stadt und Verdrängung meiner Nachbarschaft, aber auch meine eigene Rolle in dem ganzen Gentrifizierungsprozess haben mich politisiert.Katharina Mayer, 28, Bezirksverordnete, Die Linke

Im Wedding das Alter genießen

Mit dem Wedding habe ich bei meinen Berlin-Besuchen in den 1980ern vor allem den Ausdruck „Roter Wedding“ verbunden. Als Bayer hatte ich eigentlich die Aussicht auf einen Ruhestand in heimatlichen Gefilden. Doch nach der Wiedervereinigung wurde mein Krankenhaus in München geschlossen, ich wurde nach Berlin versetzt. Fußläufig zur Arbeit fand ich eine schöne Wohnung im Wedding, mit einem fairen Vermieter und Bewohnern, die es mir leicht machten.

Der Kommentar meiner Kollegen war: Wie kannst du nur im Wedding wohnen? Da sei es ja ganz schlimm, Mord und Totschlag. Jetzt wohne ich schon seit 24 Jahren hier und genieße im Wedding meinen Ruhestand.

Nach jahrzehntelanger Beschwörung, der Wedding sei im Kommen, scheint sich nun wirklich etwas zu verändern: Es gibt viele Studenten, junge Leute, Cafés. Kulturen in meiner Umgebung, an denen ich teilhabe, lassen die Zukunft für mich als Rentner in rosigerem Licht erscheinen. „Im Wedding kann man nicht wohnen“, habe ich lange nicht mehr gehört. Ich bleibe jedenfalls hier.

Christian Schacht, 71, Arzt im Ruhestand