Der Wunsch
nach Nähe

Mit „Empathische Systeme“ geht der Frankfurter Kunstverein der Frage nach, welche Bedeutung jener Eigenschaft heute in Mensch-Maschine-Beziehungen beizumessen wäre

Yves ­Netzhammer, Adressen unmöglicher Orte, 2009/19 Foto: ­Frankfurter Kunstverein

Von Katharina J. Cichosch

Die Empathie muss für allerlei herhalten dieser Tage. Gern wird sie als konstituierende Super­eigenschaft eines jeden emotional gesunden Menschen vorgebracht – und das entfaltet seine Gültigkeit auch umgekehrt: Wer sich unempathisch zeigt, muss folgerichtig ein gefühlloses Monster sein. Regelmäßig verbreiten auch renommierte Redaktionen Erkenntnisse über sogenannte Psychopathen, wenngleich diese Zuschreibung so in keinem Diagnoseschlüssel der Welt vorkommt. Am anderen Ende der Skala wird Empathie als überbewertet oder gar schon einmal „gefährlich“ verurteilt.

Mit „Empathische Systeme“ widmet sich nun der Frankfurter Kunstverein der Frage, welche Bedeutung ­jener ­Eigenschaft heute in den Mensch-Maschine-Beziehungen beizumessen wäre. Viel eher als um die Einfühlung der Technik in den Menschen scheint es hier allerdings um den Wunsch nach Nähe zu gehen, den der Mensch der Maschine entgegenbringt.

Einen guten Ausgangspunkt für diese Beobachtung findet man entgegen der Ausstellungschronologie in der obersten Etage, wo zwei Exemplare aus Theo Jansens „Strandbeest“-Reihe regungslos artig auf ihr Publikum warten. Normalerweise tollen die aus Plastikröhren, Planen und allerlei anderem Strandgut zusammengesetzten Exoskelett-Wesen durch die Gegend, hier erscheinen sie wie fossile Dinosaurier im Museum. Jansen, der Physik studiert hatte, bevor er Autodidakt-Künstler wurde, widmet sich seit dreißig Jahren der Konstruktion „neuer Lebensformen“, wie er sie nennt. Einmal durch Wind oder Muskelkraft in Bewegung gesetzt, kriechen sie wie gigantische Raupen oder tänzeln sie wie stolze Krabben über den Strand. Und man kann sich sofort vorstellen, wie sie dort, in einem niederländischen Badeort, zum beliebten, wenn auch mit einigem Respekt aus der Ferne beobachteten Strandmaskottchen werden – sollten sie denn, wie ihr Erschaffer das plant, tatsächlich eines Tages autonom zwischen Sand und Meer umherrennen.

Noch tun sie das nur zu ausgewählten Terminen, wie „Strandbeest“-Fans in Internetforen beklagen: Auch Theo Jansens Kunst ist vor allem als Idee und Potenzial zu sehen, das manchmal in der wirklichen Welt sich entfaltet. In diesem Sinne ließe sich auch die Arbeit von Takayuki Todo lesen: Denn wo bekommt die breite Masse schon einmal Gelegenheit, die heiß diskutierten humanoiden Roboter überhaupt in Aktion zu sehen? Weniger im Forschungslabor denn an Orten wie hier, in der Kunstausstellung!

Dort starrt nun in einer nach vorn geöffneten White-Cube-Kabine ein ebenso weißes Köpfchen scheinbar regungslos vor sich hin. Erst wer sich ihm nähert, bekommt SEER in Aktion zu sehen: Plötzlich beginnen seine blauen Pupillen, ihr Gegenüber zu verfolgen. Mechanische Gelenke surren, während sich der humanoide Roboterkopf windet und neigt, um den Blick seines Betrachters erwidern zu können, und seine Lider klappern, wenn er die Augen dabei schließt und wieder öffnet. Selbst die Augenbrauen kann der von Takayuki Todo konstruierte Roboter heben und senken.

Zumindest kurzzeitig versucht wohl ein jeder, SEER zu lesen, ihn gar – völlig aussichtslos – mit Zurufen und Gesprächen für sich zu gewinnen. Den Grusel aufzulösen, den die Begegnung auch mit sich bringt. Aber unterscheiden sich diese Reaktionen nun schon von jenen, die man im Zoo zwischen Tier und Menschenpublikum beobachten kann?

Plötzlich beginnt SEER mit seinen blauen Pupillen, sein Gegenüber zu verfolgen

Regelrecht spröde zeigen sich demgegenüber die Arbeiten von Yves Netzhammer. Zeichnungen, Videos und mechanisch bewegte Installationen bespielt der Schweizer Künstler mit dem für ihn typischen Repertoire aus digital gestalteten Gliederpuppen und dreidimensionalen Formen – eine krude Gruppe von Archetypen, an deren aalglatter Oberfläche jede sinnliche Erfahrbarkeit abperlt wie das Wasser an der Armatur mit Lotus-Effekt.

Während Netzhammers Arbeiten als Vexierbild zwischen Belanglosigkeit und präziser Bedeutung schwanken, wechseln die Dinge permanent ihre Form. Aus abstrakten Zylindern werden plötzlich Robben oder Wale, und die emotionale Regung folgt (zusammen mit dem sentimentalen Soundtrack) auf dem Fuße: Jetzt ist sie da, die im Videotitel angekündigte „Subjektivierung der Wiederholung“. Man darf sich vorgeführt fühlen.

Apropos Vorführung. Am besten liest man denn auch erst ganz zum Schluss, was SEER, der Simulative Emotional Expression Robot, da eigentlich genau macht bei seinem Versuch, jenes unter dem Namen uncanny valley bekannte Unbehagen zu überwinden, das sich als Abgrund zwischen Mensch und menschenähnlicher Technik auftut: Nichts weiter, als den Blick seines Gegenübers so exakt wie möglich nachzuahmen. Form ist eben nicht gleich Inhalt, auch wenn der Mensch ihr ausgesprochen gern auf den Leim geht. Wenn dies mit empathisch gemeint sein soll, dann wäre Empathie allerdings reichlich überbewertet.

Bis 8. September, Frankfurter Kunstverein