Nicht länger das Ekel geben müssen

Das Globe Theater hat in Charlottenburg einen neuen Standort. „Nach dem Kuss“ ist sein drittes Stück

Von Katrin Bettina Müller

Theater unter freiem Himmel, bei dreißig Grad an einem Juli-Abend: Da muss man natürlich was trinken. Im Globe darf man. Viele flitzen am Premierenabend, nachdem sie einen Platz in den engen Sitzreihen ergattert haben, nochmal aus der runden Zuschauer-Arena, Getränke holen. Man sitzt mit Oberschenkel- und Ellbogen-Berührung, die Sonne streift einige Gesichter, bevor sie hinter den Bäumen abtaucht.

So idyllisch bleibt es nicht. Zack, bumm katapultiert einen das neue Stück vom Globe, „Nach dem Kuss“, ins trübe Milieu eines Trinkertreffs. Es wird bald nach Kotze riechen, das ist vorhersehbar, wenn Robbi, Dieter und Röpenack Geburtstag feiern. Robbi, der eigentlich seinen dreißigsten feiern möchte, aber schon morgens mit dem Trinken begann, kriegt kaum den Kopf noch vom Tisch gehoben. Röpenack, der glaubt, seine Frau „Kuhchen“ zu nennen wäre genug als Liebesbeweis, trinkt wütend, weil sie plötzlich von Würde und Anerkennung redet, da möchte er doch gerne nur zuschlagen. Es kommt noch härter, wenn die Freunde Andi und Dieter, die für Robbi zum Geburtstag eine Russin als Unterhaltungsprogramm engagiert haben, darüber spekulieren, was es kostet, dass diese sich auszieht. Sie sparen nicht mit frauen- und ausländerfeindlichen Sprüchen.

Festgeschraubt im ­Rollenklischee

Hilfe, wo bin ich hier bloß hineingeraten? Der Autor Oliver Bukowski hat eigentlich einen guten Ruf, er steht dafür, den Unberechenbaren, den Aussortierten aufs Maul zu schauen. Das geschieht gewiss in diesem Stück, aber die Figuren der Männer sind darin so festgeschraubt, dass man nur mit Bangen auf ihre nächste sexistische und rassistische Pointe wartet. Und kaum verstehen kann, wie die Herzen der Frauen, von Heike, dem bald geprügelten „Kuhchen“, von Reni, der sehr resoluten Wirtstochter, von Jule, der jungen Russin, an ihnen hängen, allen Schikanen zum Trotz. Man ist so froh über Heikes Aufbruch, als sie ihren rüpelnden Mann endlich verlassen will; aber wieso nur kehrt sie zurück?

Das ist die Krux in dieser Inszenierung von Anselm Lipgens. Sie kriegt sehr lange die Kurve nicht, unter dieser bisswütigen, obszönen und erniedrigenden Sprache der männlichen Protagonisten mehr als deren ­Gemeinheit und Engstirnigkeit zu zeigen. Was die Frauen an ihnen lieben, trotz der fetten Schwächen, man sieht es lange nicht, erst im zweiten Teil scheint es auf. Bis dahin aber wird die Story von Emotionen getragen, die man nicht glauben kann.

Die Schauspieler, Uwe Neumann als Röpenack, Mick Morris als Dieter, Ted Siegert als Robbi, sie spielen befreiter und besser, als sie nicht länger allein das Ekel geben müssen und sich ihre Figuren nicht bloß aufplustern, sondern endlich ihre Schwächen eingestehen können. Es wird rührend nach der Pause, zuletzt von großer Tragik. Nicht alle überleben. Die letzte Szene, in der die Toten mit den Übriggebliebenen reden, ist dann von einer Sensibilität, die etwas versöhnt am Ende.

„Nach dem Kuss“ ist die dritte Inszenierung des Globe, das in Charlottenburg am Sömmering jetzt mit einer Tribüne und zwischen Containern unter freiem Himmel spielt. Dies ist ihre „Prolog“-Saison, Ende des Jahres soll dort ein fester Theaterrundbau entstehen. Der Leiter Christian Leonhard hat dafür mit dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf verhandelt, und das Theater, einen Holzbau, in Schwäbisch Hall gekauft. Noch können sie nur im Sommer spielen, das wird sich dann ändern.

„Nach dem Kuss“ wieder 7.–10. 8. und 20.–24. 8., 19.30 Uhr, weitere Termine im September. Im Globe Berlin, Sömmeringstraße 15