wortwechsel
: taz enteignet Igel, Mäuse, Frösche, Vögel, Insekten?!

„Enteignet die Kleingärtner!“ Diese steile taz-These zur Lösung des Wohnraumproblems in Großstädten traf auf Protest bei den taz-LeserInnen. Hier einige der Gegenargumente

Berliner Laubenpieper: Kreuzberger Gartenkolonie am Flughafen Foto: Karsten Thielker

„Fehlender Wohnraum in Großstädten: Enteignet die Kleingärtner!“,

taz vom 27./28. 7. 19

Wohnen in den Gärten

Der Autor Paul Wrusch fordert, einen Teil der 70.000 Kleingärtner in Berlin zu enteignen, um Wohnungen zu bauen. Er spielt benachteiligte Gruppen (hier: Pächter von Kleinparzellen versus Wohnungssuchende mit niedrigem Einkommen) gegeneinander aus. Welche Gruppen von Wohnungssuchenden aus der Innenstadt möchte tatsächlich in die oft lauten und nicht optimal angebundenen Gebiete der heutigen Gärten am Stadtrand übersiedeln? Nicht jeder möchte zwischen Bahntrassen, Schnellstraßen und Einflugschneisen leben. Ein erheblicher Teil der heute existierenden Lauben in Gärten wäre bereits zum Wohnen geeignet – wenn dies nicht amtlicherseits untersagt und mit immer neuen Regelungen unmöglich gemacht würde. Mit begrenztem Aufwand könnte in Gartenkolonien zigtausendfach Wohnraum im Bestand geschaffen werden. Viele der einkommensschwachen Pächter von Schrebergärten – die die Mehrheit stellen – würden sich mit Freuden dauerhaft dort niederlassen und ihre aktuellen Meldeadressen in der Innenstadt stünden dann dem Wohnungsmarkt zur Verfügung.

Bevor darüber polemisiert wird, dass Gärten der natürliche Feind des Wohnungsbaus seien, würde ich mir von der taz mehr Engagement gegen den überall in der Innenstadt aus Spekulationsgründen wuchernden Leerstand von Wohnungen wünschen. Niña Boschmann, Berlin

Betonverliebte Stadt

Der Artikel glänzt mit der genialen Idee, die zu enteignen, die sowieso nichts haben, denn den Kleingärtnern gehört kein einziger Zentimeter von ihrer (gepachteten) Gemüsescholle. Mit der Ausbreitung von Deutschlandfahnenklischees im Artikel arbeitet der Autor Hand in Hand mit einer betonverliebten Stadtplanung, für die Stadtgrün eher ein Verkehrshindernis ist. Wilm Weppelmann, Münster

Regenwurm-Domizil

wer wird enteignet? kleingärten sind orte, wo ameisen, regenwürmer, andere bodentiere wohnen; ich sage wohnen, sie leben dort und sorgen für einen gesunden boden. im schrebergarten leben igel, frösche, mäuse, vögel, insekten, all diese mitbewohner werden enteignet, jegliche pflanzen ebenso; wer produziert gesunden boden, gesunde luft, gesundes wasser und auch gesunde nahrung im zusammenspiel? dies leisten die Enteigneten, die der mensch total ignoriert. ein riesiger fehler! Danita Krüger, Hamburg

Multikulturell im Grünen

„Wer frisches Obst und Gemüse will, soll zum Biosupermarkt gehen – da ist das Zeug günstiger als das aus dem teuer gepachteten Kleingarten“, schreibt Paul Wrusch. So, so. Das hätte ich von Ihrem Blatt etwas antikapitalistischer erwartet.

Die Aussage, „der Schrebergarten ist Abschottung gegen Fremde, Angst vor Veränderung und überhaupt auch oft rechts, bedenkt man die zahlreichen verwitterten Deutschlandflaggen, die über fast jeder Gartenkolonie wehen“, mag vielleicht auf einzelne Kolonien und Pächter zutreffen, aber das Kleingartenwesen ist gerade bei den jungen Erwachsenen, die eher links, grün und weltoffen sind, aktuell sehr beliebt. Als stolze Jungkleingärtnerin kann ich Ihnen sagen, dass in unserer Kolonie die dicksten Deutschlandfahnen in den Parzellen wehen, die von muslimischen Familien bewirtschaftet werden. Natürlich sind diese nicht von allen Altkleingärtnern gern gesehen, aber Kleingärten werden immer mehr zu einem multikulturellen Ort, an dem man friedlich nebeneinander her gärtnert. Johanna Misfeldt, Kiel

Kein Recht auf Großstadt

Es ziehen immer mehr Menschen in die schon zu großen Städte. Stimmt wohl, aber auch leider. Das ist das Übel. Mensch will und muss zwar wohnen. Aber nicht in Gebäuden, durch die – bisher freie – Flächen versiegelt werden; die CO2 ausstoßen, die Stadt erwärmen, die Infrastruktur überfordern und für einen Anstieg der Mieten und Immobilienpreise „sorgen“. Schluss damit, es gibt kein Recht auf Wohnen in der Stadt. Wer das so cool findet, soll nach Singapur, Los Angeles, Dakar ziehen. Und viele ausgezehrte Gemeinden im Osten der Republik würden sich freuen, wenn in die vorhandenen Gebäude wieder Menschen zögen, zum Leben, zum Arbeiten. Jürgen Wunder, Hamburg

Kleine Entschädigung

Ein Kleingarten bietet gegenüber einer Urban-Gardening-Parzelle einige Vorteile: Es gibt Bäume, blühende Pflanzen für Bienen und andere Insekten, Komposthaufen. Vorteile gegenüber Parks: Viele KleingärtnerInnen wohnen in unmittelbarer Nähe ihrer Gärten und können diese mit dem Rad erreichen. Es gibt vor allem eines nicht: und das ist Hundescheiße … Wenn ich unserem Kleingarten nachtrauere, dann vor allem wegen der sozialen Komponente. Ein Garten in der Stadt ist ein guter Treffpunkt, unkompliziert und spontan nutzbar.

Unser Garten wich einem Bauvorhaben mit knapp 1.000 Wohnungen, von denen über 90 Prozent hochpreisige Eigentumswohnungen sind. Diese Illusion, dass auf Kleingartengelände viele Mietwohnungen für weniger begüterte Menschen entstehen, ist naiv. Zum Schluss: Die Angabe von 7.000 Euro Entschädigung für eine Parzelle ist falsch. Wir haben deutlich weniger erhalten, nicht einmal das, was wir bei der Übernahme zahlen mussten. Einige Betroffene haben sogar nur 1.500 Euro erhalten. Angelika Thieme-Eitel, Berlin

Immer wieder anfangen

Herr Wrusch, Sie müssen ja einiges einstecken, falls Sie alle Kommentare gelesen haben, die zum großen Teil mit diversen Differenzen in eine Richtung gehen. Ich stelle mir das nicht so einfach für Sie vor. Im Zenbuddhismus gibt es den sogenannten Anfängergeist, man kann immer wieder anfangen. Das meine ich jetzt ernst. Beste Grüße aus dem Forum!

Feminista auf taz.de