Verhandlungen über Staatsanleihen: Die Geister, die ich rief

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt mal wieder über die Europäische Zentralbank. Es geht um die Kontrolle einer mächtigen Institution.

Christine Lagarde in Nahaufnahme. Sie schaut nach unten

Noch blickt sie auf uns hinab: die nominierte EZB-Präsidentin Christine Lagarde Foto: ap

Der frisch gewählte molwanische Präsident Claus von Wagner wollte seinen Untertanen eigentlich Gutes tun, in Bildung und Soziales investieren. Aber dem Mann sind die Hände gebunden: Ein arroganter Vertreter der Europäischen Zentralbank legt in Wagners Amtszimmer die Füße auf den Tisch und erklärt, Molwanien müsse zum Wohle der Finanzmärkte die Ausgaben kürzen. Sonst kämen in seinem Land bald keine Geldscheine mehr aus den Automaten.

Demokratische Regierungen haben nichts mehr zu sagen, Europa wird beherrscht von seiner unkontrollierten und unkontrollierbaren Zentralbank, der EZB. Das zumindest war im Mai die Aussage einer Folge der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“. Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche gibt es endlich eine Fortsetzung, allerdings nicht im ZDF, sondern vorm Bundesverfassungsgericht.

Der offizielle Titel der Veranstaltung in Karlsruhe ist denn auch etwas spröder, es geht um das Public Sector Asset Purchase Programme (PSPP) der Europäischen Zentralbank zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors. In Medienberichten wird das Programm oft mit dem Wort „Geldschwemme“ übersetzt: Die EZB kaufte mit dem Programm Schulden von Eurostaaten im Wert von 2,2 Billionen Euro auf. Dazu kommen nochmal 400 Milliarden für andere Programme, mit denen die EZB beispielsweise Schulden von Großunternehmen erwarb. Zusammen entspricht die Summe dem Achtfachen des Bundeshaushalts eines Jahres.

Doch egal, ob Verfassungsgericht oder Satire, in beiden Sendungen wird im Kern verhandelt, was die Europäische Zentralbank darf und wer ihre enorme Macht kontrolliert. Geklagt gegen das Programm haben beispielsweise der CSU-Politiker Peter Gauweiler oder der AfD-Gründer Bernd Lucke, der mittlerweile eine eigene Partei hat (Liberal-Konservative Reformer). Sie klagen regelmäßig gegen die Politik der EZB.

Das Programm

Von März 2015 bis Dezember 2018 kaufte die EZB Schuldentitel von Unternehmen und Staaten und andere Vermögenswerte für insgesamt 2,6 Billionen Euro. Damit sollte offiziell die Inflation auf 2 Prozent angehoben werden. Die Marge gilt laut EZB als günstig für die Wirtschaft.

Die Kritik

Eine moderate Inflation sorgt dafür, dass Geld investiert wird, weil es sonst an Wert verliert. Die Billionen-Programme der EZB führten bisher aber nicht dazu, dass die Inflation steigt. Die ist von zahlreichen anderen Faktoren abhängig, etwa den Löhnen. Kritiker glauben deshalb, die EZB wolle eigentlich Staaten indirekt finanzieren.

Die Zukunft

EZB-Chef Mario Draghi deutete vergangene Woche an, dass der Kampf gegen eine zu niedrige Inflation verstärkt werden soll. Beobachter erwarten deshalb, dass die Europäische Zentralbank angesichts der immer schwächeren Wirtschaft ihre Kaufprogramm wieder aufnehmen oder ausweiten könnte. (ia)

Besonders die Deutschen haben mit den Maßnahmen der EZB ein gewaltiges Problem. Besonders die Deutschen haben mit den Maßnahmen der EZB ein gewaltiges Problem. Neben Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der Bundesregierung (hinter vorgehaltener Hand), einem Teil der Wirtschaftsforschungsinstitute wie dem ifo in München kritisiert auch das Bundesverfassungsgericht, die Zentralbank: Mit dem oben erwähnten PSPP könnte die EZB verdeckt Staaten finanzieren und Wirtschaftspolitik betreiben, beides ist der Zentralbank eigentlich untersagt. Zu dem Urteil kam das Bundesverfassungsgericht bereits 2017 und legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof vor. Der widersprach den Karlsruher Kollegen 2018, es gehe der EZB um geldpolitische Ziele. Nun muss das Bundesverfassungsgericht den Fall neu verhandeln.

Dass ausgerechnet die Deutschen so ein Problem mit der EZB haben, ist nicht ohne Ironie. Die Europäische Zentralbank sitzt nicht ohne Grund in Frankfurt: Die EU-Staaten haben sie 1993 auf deutschen Druck hin im Vertrag von Maastricht maßgeblich nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank geformt: also maximal unabhängig von der Politik, einzig und allein der Stabilität der neuen Währung verpflichtet, um eine Inflationskrise wie zu Zeiten der Weimarer Republik zu verhindern. Die EZB darf deshalb explizit Staaten nicht finanzieren. Sonst könnten ja Paris oder Rom kommen und sich die neusten Wahlversprechen (mehr Schulen, höhere Renten, heftigere Panzer) nicht mit Steuern oder Schulden, sondern mit frisch gedruckten Geldscheinen finanzieren.

Finanzkrise 2008 als epochale Wende

Womit in Deutschland niemand gerechnet hat, ist, dass die EZB ihre Unabhängigkeit wirklich ernst nimmt – und eine Geldpolitik betriebt, die ihre Schöpfer ablehnen. Eine epochale Wende dabei spielte die Finanzkrise von 2008. Um die Wirtschaft anzukurbeln, senkten Zentralbanken weltweit die Zinsen auf null, Geld leihen war so billig wie nie. Weil das nicht wirkte, gingen sie dazu über, Staatsanleihen zu kaufen. Die EZB kauft sie nicht direkt von den Staaten, das dürfte sie nicht. Sondern vom Sekundärmarkt: Max Mustermann leiht Deutschland Geld. Der denkt irgendwann, dass es sinnvollere Investitionen gibt, und verkauft den Schuldentitel am freien Markt, wo die Bundesbank im Auftrag der EZB zuschlägt. Max Mustermann hat wieder Geld, investiert in eine Kaugummifabrik und kurbelt so die Wirtschaft an. So die Theorie. Finanziert die Bundesbank damit illegalerweise Deutschland? Darum geht es, zum Teil. „Die Anstalt“ hat in ihrer Sendung eine andere Praxis der EZB kritisiert, nämlich die, dass sie den Kauf von Staatsanleihen von Ländern wie Irland, Spanien und Italien 2011 in damals geheimen Briefen vom bestimmten Wirtschaftsreformen abhängig machte.

Damals wie heute gilt, dass die EZB-Geldpolitik gravierende Auswirkungen auf alles hat, die aber von niemandem demokratisch legitimiert werden. Ein aktuelles Beispiel: Ausgerechnet ein Expertengremium unter der Leitung des Noch-EZB-Chefs Mario Draghi warnte am Mittwoch davor, dass sich in Europa eine Immobilienblase bildet. Was der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) euphemistisch als „Anzeichen einer Überbewertung“ von Wohnimmobilien beschreibt, ist im Alltag das, was viele Menschen persönlich erleben. Das viele Geld, das die Zentralbank in Umlauf bringt, muss irgendwie gewinnbringend angelegt werden. Weil es keine Zinsen mehr bringt, einfach Staaten Geld zu leihen, müssen andere Anlagen her: Das Geld fließt an die Aktienmärkte und pumpt Kurse auf, Investoren kaufen wie bekloppt Immobilien. In der Folge explodieren Mieten; wer mit einem normalen Gehalt eine Eigentumswohnung kaufen will, wird sie zu Lebzeiten kaum abbezahlen können. Gleichzeitig gibt es kaum mehr Zinsen für Kleinsparer; wer aus Angst vor dem nächsten Finanzknall seine Ersparnisse fürs Alter verständlicherweise nicht an die Börse tragen will, der zahlt für diese Politik.

Wähler*innen werden wütend auf ihre Regierungen, doch die können reichlich wenig dafür: Sie haben null Einfluss auf die Europäische Zentralbank. Wobei, stimmt nicht ganz: Sie entscheiden über den Posten des Zentralbankchefs, haben aber keinerlei Einfluss mehr, sobald er oder sie mal in Frankfurt inthronisiert ist. Und da haben sich die Eurostaaten gerade für Christine Lagarde entschieden, von der bisher sämtliche Beobachter glauben, sie werde die Politik von Draghi fortsetzen.

Die einzige Institution, die tatsächlich direkten Einfluss auf die EZB nehmen kann, ist der Europäische Gerichtshof. Der allerdings bisher bis auf einige Details die Kaufprogramme der Zentralbank absegnete. Dass das Bundesverfassungsgericht dem widerspricht und die offene Konfrontation mit den EU-Kollegen sucht, gilt als unwahrscheinlich: Dann hätte die EU einen Kompetenzkonflikt seiner wichtigsten Gerichte mit ungewissem Ausgang.

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