LGBTI in der Türkei und in Berlin: „Man kann uns nicht ignorieren“

Das Pride-Verbot in Istanbul gilt nach wie vor. Wie ist die Lage von LGBTI nach den Gezi-Protesten? Darüber diskutierten Aktivist*innen in Berlin.

Seit 2015 ist die Istanbuler Pride wegen „Befindlichkeiten der Öffentlichkeit“ verboten Foto: dpa

„Wir sind nun nicht mehr nur ein paar Schwule. Die Regierung kann uns nicht ignorieren“, erklärt Şevval Kılıç die steigende Sichtbarkeit der LGBTI-Bewegung nach den Gezi-Protesten am Freitagnachmittag bei einem Gespräch beim Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg (TBB). Die LGBTI-Aktivistin ist mit ihrer Kollegin Beyza Bilal auf Einladung der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung nach Berlin gekommen, um über die Lage der LGBTI-Bewegung in Istanbul zu sprechen.

Kılıç berichtet über den Sommer von 2013, als die Gezi-Proteste stattfanden. Im gleichen Sommer waren über 100.000 Menschen zum Istanbuler Pride March auf der Straße, eine Rekordzahl. Laut der Aktivistin lag die Macht von Gezi in den queeren Kämpfen. „Als der kurdische Bezirk Roboski 2011 bombardiert wurde, waren die LGBTI die Ersten, die sich organisierten. Wir veranstalteten diese riesige Demonstration, an die sich auch die Kurd*innen anschlossen. Das war Intersektionalität.“

Die queerpolitische Bewegung musste sich aber in den letzten Jahren viel ändern, nachdem der Istanbuler March 2015 von der Polizei angegriffen wurde. Seitdem ist der Pride March in der Türkei staatlich verboten.

„Seit fünf Jahren versteckt die AKP-Regierung ihre Gefühle nicht mehr“, sagt Kılıç. „Früher gab es jede Woche eine Demo. Erdoğan hat jetzt alles verboten, auch den 8. März.“ Die Community findet trotzdem Wege, um sich miteinander zu solidarisieren: „Als DJ sehe ich ständig, wie junge Leute auf Partys zusammenkommen und sich politisch engagieren. Wir empowern uns gegenseitig im Nachtleben.“

Glaube an internationale Solidarität

Als der Moderator Zülfukar Çetin sie fragt, wie die beiden Aktivistinnen die Einladungen für verschiedene Veranstaltungen in EU-Ländern betrachten, wo sie wiederholt erzählen müssen, wie schlimm es queeren Menschen in der Türkei geht, lacht Kılıç laut und imitiert die Reaktion der Europäer*innen: „Es tut mir sooo leid für dich!“ Sie ist aber noch immer froh, dass sie ins Ausland reisen darf: „Ich glaube an internationale Solidarität, und es ist gut, dass alle sehen, wie die türkische Regierung queere Menschen behandelt.“

Und die Queerfeministin Beyza Bilal betont, es gebe keinen Ort ohne Homo- und Transfeindlichkeit, die Formen änderten sich nur. Diskriminierung und Gewalt fänden überall statt, auch in der EU.

Die Zuschauer*innen interessieren sich für Ekrem İmamoğlu, den kürzlich gewählten Bürgermeister von Istanbul. „Gibt es mehr Hoffnung jetzt, nachdem der CHP-Kandidat die wiederholte Wahl gewonnen hat?“, wollen sie wissen. Kılıç und Bilal sind erst mal vorsichtig. „Er hat viele marginalisierte Gruppen begrüßt, aber nicht die LGBTI“ erklärt Bilal. „Ihr wisst doch, dass er von der CHP ist, oder?“ fragt Kılıç. „Die CHP ist nur ein bisschen weniger faschistisch.“

Dennoch hätten sie Unterstützung von Berufskammern, darunter die Ärztekammer und Architektenkammer. Die Kammern waren historisch immer links, eine Besonderheit in der Türkei, und heute bieten sie LGBTI-Organisationen einen Safe Space. Aber nicht jeder queere Mensch sei ein Aktivist und ein Kämpfer, erklärt Kılıç. Deswegen sei die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum sehr wichtig gewesen. Das Pride-Verbot sei ein besonders schwerer Verlust für nicht geoutete Menschen.

Auch wenn die Hälfte ihrer Freund*innen inzwischen in Berlin lebt, sind die Aktivistinnen nicht hoffnungslos. Kılıç erklärt: „Jede*r macht, was sie/er kann. Es gibt keine einzige Lösung. Kommen wir nach Deutschland oder England, dann werden wir zu Hause zu Terroristen erklärt. Ich habe die 1980er Jahre nach dem Militärputsch als trans Frau in der Türkei überlebt. Ich überlebe auch diese Regierung.“

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