Palästinensischer Politiker über Nahost: „Ein-Staat-Lösung mit Apartheid“

Israel und die USA haben die Zweistaatenlösung in Nahost fallengelassen, kritisiert Mustafa Barghouti. Er warnt vor einem System der Segregation.

Zwei Frauen stehen auf ausgedruckten Bildern von Trump und Netanjahu, die auf der Straße liegen.

Unbeliebtes Duo Trump/Netanjahu: Protest gegen den US-Nahostplan vergangene Woche in Gaza Foto: reuters

taz: Herr Barghouti, der US-Nahostbeauftragte Jared Kushner hat den Palästinensern 50 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt. Die Reaktion: Proteste, brennende Autoreifen und brennende Bilder von Trump und Netanjahu. Warum so destruktiv?

Mustafa Barghouti: Wir hören immer wieder, dass wir warten müssen, bis der gesamte Plan (für Frieden in Nahost, Anm. d. Red.) bekannt ist, den das Team von Herrn Trump ausarbeitet. Aber wir haben schon genug gesehen: die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels und damit der Annexion des besetzten Ost-Jerusalems, die Verlegung der US-Botschaft und die Aussagen von US-Botschafter David Friedman, dass Israel das Recht habe, Teile der Westbank zu annektieren.

Worauf läuft all das Ihrer Meinung nach hinaus?

Das Team von Herrn Trump hat die traditionelle US-Linie seit der Zeit von Präsident Jimmy Carter verlassen. Es heißt sogar, die Palästinenser seien unfähig, sich selbst zu regieren, und dass es keinen palästinensischen Staat geben werde. Die USA verabschieden sich von der Zwei-Staaten-Lösung.

Was tritt an deren Stelle?

Wir steuern auf eine Ein-Staat-Lösung mit Apartheid zu. Das schließt die weitere Annexion palästinensischer Gebiete ein.

Das Wort Apartheid ist in Bezug auf Israel und Palästina umstritten. Würden Sie es bitte definieren?

Der Begriff bezieht sich auf verschiedene Aspekte: auf Segregation – etwa durch Straßen in der Westbank, die exklusiv von Israelis genutzt werden dürfen; auf den Wasserkonsum – Israel kontrolliert 85 Prozent der Wasserressourcen der Westbank; sowie auf das Rechtssystem – es bestehen zwei Rechtsordnungen für zwei Völker, die im selben Gebiet leben. Für einen Siedler gilt das zivile israelische Recht, ein Palästinenser ist der israelischen Militärgesetzgebung unterworfen.

wurde 1954 in Jerusalem geboren. 2005 erreichte er in der Wahl um die Nachfolge von Jassir Arafat als unabhängiger Kandidat Platz zwei hinter dem heutigen Präsidenten der Palästinensischen Autonomie­behörde, Mahmud Abbas. Er ist Vorsitzender der Partei Palästinen­sische Nationale Initiative.

Spätestens seit Donald Trumps Amtsantritt sind die Palästinenser in der Defensive. Wo sehen Sie derzeit noch Handlungsoptionen?

Wir müssen weiter um unsere Freiheit kämpfen. Eine Mehrheit der Bevölkerung will noch immer die Zwei-Staaten-Lösung, damit unsere Kinder nicht unter Militärbesatzung aufwachsen. Wenn aber die Zwei-Staaten-Lösung fallengelassen wird, dann haben wir nur eine Option: ein Staat und Gleichheit für alle. Denn die Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung ist nicht das Apartheidsystem.

Warum, meinen Sie, hat die israelische Seite die Zwei-Staaten-Lösung fallen gelassen?

Nicht alle Israelis haben die Hoffnung verloren! Einige wissen, dass es kein jüdisches und demokratisches Israel geben kann bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Besatzung. Aber die Siedlerbewegung und andere extrem rassistische Kräfte wollen das gesamte Land. Sie sprechen uns das Recht ab, in unserem Land zu leben.

Viele sehen den jüdischen Charakter Israels auch dadurch bedroht, dass die Palästinenser auf das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge pochen.

Das Recht auf Rückkehr ist völkerrechtlich verbrieft und muss auch von Israel anerkannt werden. Die Umsetzung muss ausgehandelt werden.

Würden denn tatsächlich viele der rund drei Millionen palästinensische Flüchtlinge im Ausland nach Israel und in die palästinensischen Gebiete zurückkehren?

Die Initiative: US-Präsident Donald Trump hat versprochen, den festgefahrenen Nahostkonflikt mit einem „Deal des Jahrhunderts“ zu lösen. Sein Berater und Schwiegersohn Jared Kushner arbeitet dafür zusammen mit dem Nahostbeauftragten Jason Greenblatt und dem US-Botschafter in Jerusalem, David Friedman, einen Friedensplan aus.

Die Konferenz: Ende Juni gab Kushner erste Details des Plans bekannt und warb auf einer Konferenz in Bahrain um Investitionen in die palästinensischen Gebiete.

Die Kritik: Weil heikle politische Fragen des Nahostkonflikts im Kushner-Plan ausgeklammert werden, hat sich unter anderem die palästinensische Führung in Ramallah gegen das Vorhaben ausgesprochen. (hag)

Ich weiß es nicht. Das Gesetz sagt, dass jeder einzelne diese Option haben muss. Momentan heißt es, die Palästinenser sollen ihr Recht auf Rückkehr aufgeben. Aber selbst wenn sie das täten, würden sie keinen Staat bekommen. Was ist das für eine Logik?

Das Recht auf Rückkehr fordert auch die BDS-Bewegung, die zum Boykott Israels aufruft und derzeit auch in Deutschland für Diskussionen sorgt. Wie stehen Sie zu BDS?

Wer BDS unterstützen möchte, hat das Recht dazu. Bei dem Thema sind viele Falschinformationen im Spiel. Die Kampagne gegen BDS wird genutzt, um Palästinenser generell zu delegitimieren und zu dehumanisieren. Man kann BDS nicht mit Antisemitismus gleichsetzen …

… wie es der Deutsche Bundestag in einem umstrittenen Beschluss gegen die BDS-Bewegung im Mai getan hat …

BDS ist eine gewaltfreie Bewegung, die sich weder gegen das jüdische noch das israelische Volk richtet. BDS ist gegen die Politik der israelischen Regierung. Im Bundestagsbeschluss sehe ich zwei Hauptprobleme: Erstens ignoriert er das palästinensische Thema komplett und bekräftigt noch nicht einmal die Position der Bundesregierung, die die Zwei-Staaten-Lösung unterstützt und ein Ende der Besatzung fordert. Zweitens schränkt er die Meinungsfreiheit ein.

Was fordern Sie von den Deutschen?

Bleiben Sie bei Ihrer Linie, dass Palästinenser ein Recht auf Staatlichkeit und Unabhängigkeit haben! Unterstützen Sie weiter die Zivilgesellschaft! Und eine Warnung: Der Druck, die arme Bevölkerung in der C-Zone (Gebiete der Westbank unter voller Kontrolle Israels, Anm. d. Red.) nicht mehr zu unterstützen, ist hoch. Der Plan von Trump und Netanjahu ist, diese Gebiete praktisch zu säubern, sodass sie annektiert werden können. Das wäre das endgültige Ende der Zwei-Staaten-Lösung, denn die C-Zone macht 60 Prozent der Westbank aus.

Sie sagten vorhin, Palästinenser würden delegitimiert und dehumanisiert. Was meinen Sie damit genau?

Es wird das Bild vermittelt, als seien alle Palästinenser entweder Terroristen oder Antisemiten. Ich habe mein Leben lang Gewaltfreiheit vertreten. Nichts von meiner Kritik an Israel und am Apartheidsystem hat jemals das Leiden des jüdischen Volks infrage gestellt – weder zu Zeiten des Holocausts noch davor. Was wir beobachten, ist ein Angriff auf gewaltfreie palästinensische Handlungen. Ziel dieser Attacken ist die Zivilgesellschaft, die die Hoffnung auf eine künftige Demokratie in Palästina verkörpert.

Von Demokratie sind die Palästinenser allerdings selbst weit entfernt. Was fordern Sie von der Autonomieregierung in Ramallah?

Sie muss alles tun, um Einheit zu erreichen und die interne Spaltung zu überwinden. Nur Demokratie und Einheit werden uns befähigen, unsere Sache zu vertreten. Wir brauchen wieder Wahlen.

Würde dann nicht wieder die Hamas gewinnen?

2006 bekam die Hamas 44 Prozent der Stimmen. Heute würde sie vermutlich nicht einmal 30 Prozent erreichen. In Neuwahlen würde keine Seite eine absolute Mehrheit erzielen. Es gäbe die Fatah, die Hamas und ein drittes, demokratisches Lager.

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