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Anders als gewohnt

Wohnungsbaugenossenschaften sind beim Neubau unverzichtbar. Sie sichern spekulationsfreie und stabile Mieten, bislang unter schwierigen Bedingungen

Die Genossenschaft Möckernkiez baute bis 2018 in Berlin-Kreuzberg 471 Wohnungen Foto: Karsten Thielker

Von Kristina Simons

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ So steht es in Artikel 14 unseres Grundgesetzes, das gerade seinen 70. Geburtstag gefeiert hat. Doch in zahlreichen, vor allem großen Städten haben viele Mieter das Gefühl, dass das Eigentum an Wohngebäuden vor allem den Renditen ihrer Besitzer, oft große Investorengesellschaften, dienen soll. Bei Wohnungsgenossenschaften steht hingegen schon seit den ersten Gründungen Ende des 19. Jahrhunderts die Vision vom selbstbestimmten, von Spekulation und Mietwucher unbelasteten Wohnen im Vordergrund.

Aktuell gibt es in Deutschland rund 2.000 Wohnungsbaugenossenschaften (WBG) mit einem Bestand von insgesamt 2,2 Millionen Wohnungen. Viele der genossenschaftlichen Grundideen, wie der Kündigungsschutz oder die Begrenzung von Mietsteigerungen, sind heute rechtlich verankert.

Auch kommunale Wohnungsbaugesellschaften haben den Auftrag, Wohnungen dauerhaft preiswert und unter sozialverträglichen Gesichtspunkten zu vermieten. Doch sie sind bisweilen widersprüchlichen politischen Entscheidungen ausgeliefert. So haben viele Städte eigene Wohnungsbestände verkauft, um mit dem Geld ihre Schuldenberge abzubauen. Ein besonders krasses Beispiel ist Dresden, das 2006 alle seine 48.000 Wohnungen verkauft hat und damit auf einen Schlag schuldenfrei wurde. Der Berliner Senat hat zwischen 1990 und bis in die Mitte der Nullerjahre fast 200.000 der insgesamt etwa 500.000 landeseigenen Wohnungen privatisiert. Ehemals städtische Wohnungsbaugesellschaften wie die GSW gingen an private Investoren. Den Preis dafür zahlten jedes Mal die Mieter. Auch vor diesem Hintergrund wächst die Nachfrage nach genossenschaftlichem Wohnen mit langfristig stabilen Mieten.

Trotz aller Widrigkeiten schaffen es Genossenschaften immer wieder, Bauprojekte zu stemmen und zu für Neubauten vergleichsweise günstigen Mieten anzubieten. Von den vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen vertretenen Wohnungsgenossenschaften haben 298 im Jahr 2018 zusammen 8.863 Wohneinheiten fertiggestellt. Zwischen 2011 und 2017 bauten sie 37 Prozent der rund 114.400 von GdW-Mitgliedern fertiggestellten Wohnungen. Nur kommunale Wohnungsunternehmen bauten mit einem Anteil von 46 Prozent mehr.

Aktuell plant in Hamburg die Genossenschaft Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba) Neubauten mit rund 600 Wohnungen. Von den 140 Wohnungen, die Altoba derzeit im neuen Quartier Mitte Altona baut, sind 15 Wohnungen frei finanziert. „Hier wird die monatliche Quadratmetermiete kalt zwischen 10,50 und 12,50 Euro liegen“, so der Vorstandsvorsitzende Burkhard Pawils. Die anderen Wohnungen sind öffentlich gefördert. Je nach Förderweg – die Wohnungen werden teilweise speziell für Baugemeinschaften errichtet ­– liegen die Anfangsmieten hier zwischen 6,40 und 8,40 Euro pro Quadratmeter. Auch die Genossenschaft Bauverein der Elbgemeinden (BVE) baut in Mitte Altona insgesamt 90 Wohnungen, der Großteil davon gefördert und zu Kaltmieten von 8,60 Euro. Zehn Wohnungen sind frei finanziert und werden kalt zwischen 11 und 13 Euro pro Quadratmeter kosten. Die Berolina eG baut derzeit das sechste Mehrfamilienhaus ihres Neubauprojekts MYRICA in Berlin-Mitte. Die Quadratmeterpreise liegen hier kalt bei 10,80 bis 11,80 Euro.

Gerade in Großstädten wird Wohnraum immer knapper. Die Prognos-Studie „Wer baut Deutschland? – Inventur zum Bauen und Wohnen 2019“ zählt die Städte Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart zu den Top 7 unter den angespannten Mietmärkten. Weitere 35 Städte und Kreise haben „sehr angespannte“, noch mal 96 „angespannte Wohnungsmärkte“. Inzwischen versuchen die Landes- und Kommunalverantwortlichen gegenzusteuern und fördern den Neubau der eigenen Wohnungsbaugesellschaften. Auch für Genossenschaften soll es leichter werden, neu zu bauen. Denn gerade kleine WBGs haben es angesichts steigender Bodenpreise und fehlender Flächen schwer. „In Berlin wurden viele Verdichtungs- und Aufstockungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahren bereits ausgeschöpft“, sagt Barbara König vom Genossenschaftsforum. Die Möglichkeiten, neu zu bauen, seien deshalb begrenzt.

Grundstücke, die sich im Eigentum des Bundes bzw. der öffentlichen Hand befinden, sollten deshalb bewusst vergeben und nicht an den Höchstbietenden verkauft werden, schlussfolgert auch die Prognos-Studie. Denn viele private Investoren und Wohnungsunternehmen sowie Genossenschaften könnten aufgrund der hohen Bodenpreise in vielen Regionen oftmals keine bezahlbaren Mietwohnungen für Zielgruppen der unteren und mittleren Preissegmente entwickeln. „Über Konzeptvergaben bei kommunalen Grundstücken kann die Kommune einen gestaltenden Einfluss auf die Entwicklung der Fläche nehmen.“ Vereinzelt geschieht das bereits. So werden in München mittlerweile in den großen städtischen Siedlungsgebieten 20 bis 40 Prozent der Gesamtflächen an Baugemeinschaften und Wohnungsbaugenossenschaften vergeben. Um – für München – günstige Eingangsmieten ab 10,50 Euro zu ermöglichen, kann eine Genossenschaft oder Baugemeinschaft zusätzlich städtische Finanzhilfen in Form von zinsgünstigen Darlehen in Anspruch nehmen. Auch die Stadt Hamburg vergibt seit Anfang dieses Jahres Zuschüsse und Darlehen an Baugemeinschaften mit genossenschaftlichem Eigentum, die preisgünstige Wohnungen neu bauen oder durch Gebäudeerweiterungen schaffen wollen.

Seit 2018 fördert auch Berlin Genossenschaften, die neu bauen oder Bestände erwerben wollen, mit zinslosen, nachrangigen Darlehen. Seit diesem Februar hat das Land einen eigenen Genossenschaftsbeauftragten als ständigen Ansprechpartner der Berliner Wohnungsbaugenossenschaften. „Außerdem hat sich der Senat darauf geeinigt, dass in den neuen Stadtquartieren – derzeit gibt es 14 Stück – mindestens 20 Prozent der verfügbaren und noch beplanbaren landeseigenen Grundstücke Genossenschaften zur Errichtung von Wohnraum zur Verfügung gestellt werden sollen“, erläutert Katrin Dietl, Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Aktuell 21 Grundstücke zwischen 370 bis 7.500 Quadratmetern stellt der Senat ihnen dafür durch Konzeptvergabe in Erbbaurecht zur Verfügung.

Hohe Bodenpreise machen Neubau teuer, hier ist der Staat gefragt

Das Bündnis Junge Genossenschaften, in dem sich 30 Berliner Bau- und Wohngenossenschaften zusammengeschlossen haben, hat deshalb im März 2018 einen Forderungskatalog mit konkreten Vorschlägen für eine neue Vergabepraxis für öffentliches Bauland und neue Finanzierungsinstrumente vorgelegt. Denn in der Hauptstadt müssten in den nächsten Jahren mehr als 20.000 Genossenschaftswohnungen gebaut werden, nur um deren Anteil von derzeit rund 12 Prozent zu halten.

Den Vorstoß des Senats hält Bündnissprecher Ulf Heitmann, zugleich Vorstand der Genossenschaft Bremer Höhe, allerdings für reine Theorie. „Die Wohnungsbauförderung ist defizitär und zu statisch und die an die Vergabe geknüpften Bedingungen sind in der Praxis viel zu unklar.“ Zum Beispiel könne der Erbpachtzins immer weiter steigen und Genossenschaften so vor unberechenbare finanzielle Probleme stellen. Teilweise seien die Grundstücke noch nicht baureif, müssten aber nach Vergabe innerhalb von drei Jahren bebaut werden. „Sonst drohen Strafzahlungen.“ Auch der Verwaltungsaufwand für die Konzeptvergabe sei enorm. „Die Genossenschaften müssen knapp 1.000 Seiten Unterlagen ausfüllen, um daran teilzunehmen – um dann vielleicht nur 25 Wohnungen bauen zu können!“