berliner szenen
: Bibliothek mit Zwang zum Taster

Ich steh vor ’ner Tür und krieg sie nicht auf. Dabei hab ich die sonst immer aufgekriegt, Öffnungszeit ist noch bis sieben und jetzt ist grad mal sechs. ’Ne Stunde lang sollte die Tür sich also noch rühren. Nur tut sie das nicht.

Kann sie auch nicht, denn an ihr ist jetzt keine Klinke mehr. Krass, denk ich. Wo ist die hin? So richtig interessiert mich das aber dann doch nicht, wo die Klinke hin ist; mich interessiert vielmehr, wie ich die Tür jetzt ohne sie aufkrieg. Ich schaue die Stelle an, wo die Klinke mal war, schau noch mal zum Schild mit den Öffnungszeiten, auf meine Uhr, bis ich’s dann endlich seh: „Bitte Taster benutzen!“, aufs Glas der Tür geschrieben.

Taster, ach nö, denk ich. Ich will Türen nicht elektrisch aufschwingen lassen; ich will die schieben, ziehen, von Hand bewegen, da bin ich eigen. Und das spart auch Strom, sodass ich mich jedes Mal gut fühl, wenn ich von Hand schieb oder zieh – schon wieder was für die Umwelt getan! Aber hier? So sehr ich auch noch mal probier, drücke und presse, Hand, Arm, Schulter; Ganzkörpereinsatz.

„Taster nutzen!“, kommt plötzlich ’ne Stimme von hinten. „Oder kannste nicht lesen?“

„Doch“, sag ich.

„Wär ja auch blöd, wenn nicht. Wenn du doch zur Bibliothek willst! Ha-ha!“

Der hinter mir drückt auf den Taster, und ich denk: Ist das der Grund für die fehlende Klinke, ’ne Art Vorsortiertest? Wer „Bitte Taster nutzen!“ nicht lesen kann, muss gar nicht erst weiter gehen, weil eben Bibliothek hinter der Tür, voller Bücher und so? Aber sind Bibliotheken nicht auch als Leseförderung gedacht? Egal, denk ich, auch wenn es überhaupt nicht egal ist, dass die, die nicht lesen können, so auch nicht lesen lernen werden können, zumindest nicht hier. Aber jetzt ist die Tür endlich auf, und das ist ja auch etwas wert. Joey Juschka