Kolumne Mithulogie: Ecce Homöopathie

Ich schreibe Menschen nicht vor, wie sie mit ihren Körpern umgehen sollen. Warum soll ich mich also über Globuli empören?

Ein Kleinkind bekommt etwas in den Mund gelegt

Glauben Menschen, die Globuli nehmen, dass die Erde eine Scheibe ist? Foto: dpa

Da bin ich bisher davon ausgegangen, dass die gesellschaftlichen Gräben anhand von Themen wie Migration oder Sexarbeit verlaufen, aber weit gefehlt! Was Leute wirklich zur Weißglut treibt, sind: Zuckerkügelchen.

Keine Sorge, ich werde jetzt nicht Studien für die Wirksamkeit oder Nichtwirksamkeit von Homöopathie auflisten, die es beide gibt. Wie sollte ich auch eine informierte Debatte in der Kürze einer Kolumne führen? Was mich viel mehr interessiert, ist, warum kluge, aufgeklärte Menschen im Namen der Aufklärung meinen anderen vorschreiben zu müssen, was richtig ist und was falsch.

Und homöopathische Mittel sind so was von falsch, dass allein die Tatsache, dass viele Krankenkassen sie als freiwillige Leistung anbieten, als Angriff auf das wissenschaftliche Denken angesehen wird. Quelle: Twitter! Wenn ich Globuli nehme, glaube ich auch, dass die Erde eine Scheibe ist?

Nun habe ich kein Problem, wenn Menschen Globuli für Humbug halten. Schließlich schreibe ich Menschen nicht vor, wie sie mit ihrem Körper umgehen sollen. Die freie Arzt- und Behandlungswahl – und eben auch keine Behandlung zu wählen – sind Grundpfeiler einer offenen Demokratie.

„Versuchte Körperverletzung“? Wow.

Jetzt können wir uns natürlich in Diskussionen verstricken, wie das mit der freien Arztwahl für Kinder ist, aber wir können es auch lassen. Die Zahl der Eltern, die lieber Globuli geben, als einen entzündeten Blinddarm rausnehmen zu lassen, liegt weit, weit, weit unter denen, die ihre Kinder Hundefutter essen lassen oder sie zu Tode prügeln.

Worüber wir hier reden, sind 0,03 Prozent der Ausgaben – die bekommen Krankenkassen auch noch anderweitig verschwendet –, trotzdem verstehe ich den Ärger, dass Kassen zentrale Leistungen wie Brillen nicht zahlen, dafür aber bei Zuckerkügelchen hier schreien. Wie wäre es also stattdessen mit einer grundsätzlichen Debatte über unser Gesundheitssystem?

So musste ich die Geburt meines Sohnes selber zahlen, weil ich ihn im Geburtshaus zur Welt bringen wollte. Als ich das in der #Homöopathie-Debatte erwähnte, twitterte eine Frau, die sich ansonsten für ähnliche Rechte einsetzt wie ich: „Menschen, die in Geburtshäusern entbinden, gehören für mich wg versuchter Körperverletzung am Kind angezeigt.“ Wow!

Warum sind plötzlich alle Ärzte und haben ein intimes Wissen über medizinische Zusammenhänge, die – Spoiler! – deutlich komplexer sind? So macht die Medizin einen Unterschied zwischen Wirksamkeit und Nutzen. Über die Wirksamkeit von Homöopathie kann man streiten. Und es macht Sinn, genau hinzuschauen, ebenso wie bei Allopathie. So kam die Stiftung Warentest gerade zu dem Ergebnis, dass eines von vier rezeptfreien Medikamenten nicht nur nicht wirkt, sondern schädlich ist. Aber der Nutzen von Homöopathie ist offensichtlich, auch wenn er am Placebo-Effekt liegt. So offensichtlich, dass es den Placebo-Effekt auch für Haustiere und Zimmerpflanzen gibt.

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Dr. Mithu M. Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Autorin Themen: Sex, Gender, Macht, (Post)Kolonialismus, Rassismus, Wissen schreibt eine regelmäßige Kolumne für die taz "Mithulogie" Bücher u.a. "Vulva" (Wagenbach), "Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens" (Nautilus.)

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