Bestandene Eliteprüfung

Der deutsche Radprofi Emanuel Buchmann hängt am Tourmalet gar Titelverteidiger Geraint Thomas ab und zählt plötzlich zu den Podiumskandidaten der Tour de France

Taktisch gereift: Buchmann (l.) lauert nach einem Vorstoß auf die Konkurrenz Foto: reuters

Aus La Mongie Tom Mustroph

Ralph Denk war glücklich. Die Augen strahlten über dem Schnauzbart, den sich der Chef von Bora hansgrohe seit einiger Zeit stehen lässt. „2015 kamen wir hier noch als Nobodys zur Tour. Schritt für Schritt aber hat sich Emanuel entwickelt. Und jetzt fährt er auf einem Niveau mit den Großen mit“, frohlockte Denk, als er auf der Skistation La Mongie, zweieinhalb Kilometer hinter dem höchsten Punkt der Passstraße zum Tourmalet aus dem Teambus stieg.

Denk hatte im Fernsehen verfolgt, wie sein Rundfahrer Buchmann nicht nur tapfer mit den besten Kletterern mithielt. Auf dem letzten Kilometer des Anstiegs griff Buchmann sogar an. „Ich habe mich noch ganz gut gefühlt, und die andern sahen nicht so gut aus. Da habe ich gedacht, ich probiere es einfach mal, vielleicht kriege ich ein kleines Loch oder die anderen fahren nicht direkt hinterher“, sagte Buchmann selbst wenig später mit seiner gewohnt leisen und schüchtern klingenden Stimme. So, wie er es sagte, klang es ganz einfach.

Dass der Ravensburger Schreinerssohn sich da aber noch gut fühlte, war schon eine besondere Sache. Die Teams Movistar, Groupama FDJ und Jumbo – Visma hatten zuvor das Rennen so schnell gemacht, dass nicht nur einige Top-Favoriten ins Straucheln kamen wie etwa Nairo Quintana und Adam ­Yates. Die Fahrt war so rasant, dass auch der gewöhnlich so dominante Bergzug des Team Ineos auseinanderflog. Als Team Sky pflegte der britische Rennstall gern die erste Bergetappe einer Tour zur Rampe für den Gesamtsieg zu machen.

Die größte Überraschung war dann, dass sich Emanuel Buchmann nicht nur seine Gegner ausgeguckt und die Attacke gestartet hatte, sondern dass auf einmal sogar Titelverteidiger Geraint Thomas nicht mehr folgen konnte. Buchmann hängt Thomas ab, das hätte 2015 niemand zu denken gewagt.

Gut, als Tourneuling passierte er damals aus einer Fluchtgruppe heraus als Dritter den Tourmalet. Ein erstes großes Hoffnungszeichen. Man zweifelte aber auch. Denn wie viele Bergtalente hatte der Radsport schon, und wie viele dieser Jungkometen verglühten vorzeitig im gnadenlosen Wettbewerb der schnellen Beine, dünnen Körper und großen Lungen? Buchmann gehört, das darf man schon jetzt sagen, nicht dazu. Der Tourmalet 2019 war seine Gesellenprüfung. Er ist jetzt Teil der Elite.

Die alten Fehler sind korrigiert, das Leistungsniveau ist verbessert

Dass er nach seiner zweiten Attacke, derjenigen, die Thomas die Luft raubte, nicht noch durchzuziehen versuchte, darf man als gereiftes taktisches Verständnis und nicht als fehlenden Mut interpretieren. „Die anderen hingen doch an meinem Rad, da machte es keinen Sinn, durchzuziehen“, erklärte Buchmann. Pacemaker für die anderen wollte er nicht sein. Eher wieder lauern, kurz durchatmen und Kräfte sparen, wenn das bei dem höllischen Tempo überhaupt gehen konnte.

„Es war jetzt nicht Mann gegen Mann mit Thomas. Aber dass einer, den vor dieser Tour wohl niemand als Podiumskandidaten auf der Rechnung hatte, jetzt vom Titelverteidiger wegfährt, das ist schon eine starke Sache, und ein Beleg für Emus kontinuierliche Entwicklung“, bilanzierte Denk. An eine Planänderung wollten weder der Chef noch der Fahrer selbst denken. „Ziel bleibt weiterhin die Top Ten“, sagten Denk und Buchmann. Zu viel geschehen kann noch bei dieser Tour. Beide haben zudem die Vuelta 2018 in Erinnerung. Da baute Buchmann in der zweiten und dritten Woche stark ab. „Es war ein Mix verschiedener Faktoren. Einer war die Ernährung, er nahm zu viele Kohlehydrate zu sich, war am Ende der Rundfahrt sogar schwerer als zu Anfang. Und dann war auch die Periodisierung der Höhentrainingslager nicht optimal“, erklärte Denk. Jetzt passt er auf, dass Buchmann sich nicht zu viel auf den Teller schaufelt. Das letzte Höhentrainingslager war auch dichter an der Tour dran.

Die alten Fehler sind korrigiert, das generelle Leistungsniveau ist verbessert. Und wenn sich Denk und Buchmann noch nicht zum Verkünden höherer Ambitionen hinreißen lassen, so wächst im Team doch die Lust auf mehr. „Das war gewaltig. Ich bin stolz auf dich“, sagte Berghelfer Gregor Mühlberger zu Buchmann am Bus. Deutschland hat tatsächlich einen neuen Rundfahrer. Welche Resultate das bringt, wird man Tag für Tag erleben.