Else Buschheuer über ihr neues Buch: „Hilfe zu akzeptieren, ist schlau“

Die Moderatorin Else Buschheuer hat ein Buch über ihr Helfersyndrom geschrieben. Ein Gespräch über Orgasmen beim Gutseinwollen und auswegslose Kämpfe.

Else Buschheuer trägt einen blond gefärbten Kurzhaarschnitt und eine getönte Sonnenbrille. Sie schaut frontal in die Kamera, schürzt die rot geschminkten Lippen und hebt die Hände mit gespreizten Fingern.

Quirrlig und radikal ehrlich – Else Buchheuers neues Buch ist das erste seit dem Freitod Ihres Mannes Foto: dpa

taz am wochenende: Frau Buschheuer, in Ihrem Buch „Hier noch wer zu retten?“ haben Sie sich selbst ein Helfersyndrom diagnostiziert …

Else Buschheuer: … ja. Haben Sie auch eins?

Nach allem, was ich dazu bei Ihnen gelesen habe, nein.

Gut. Wir brauchen auch die anderen, sonst gibt es ja niemanden, dem wir helfen können.

Ein Straßenzeitungsverkäufer kommt an unseren Tisch im Café „Romeo und Romeo“ in Berlin-Schöneberg und will seine Zeitung verkaufen.

Ich darf nicht.

53, wuchs in der DDR auf. Nach der Wende arbeitete sie als freie Journalistin, war Ende der 1990er Wetterfee etwa bei n-tv und moderierte später Sendungen beim MDR. Seit 2000 schrieb sie mehrere Romane. Sie besitzt mehrere Zertifikate, etwa in Familienaufstellung, Reiki, als Domina und als Hospizbegleiterin. In ihrem aktuellen autobiografischen Buch "Hier noch wer zu retten?" (Heyne Verlag, München) geht sie ihrem Helfersyndrom nach.

Stimmt ja. Sie therapieren sich, indem Sie sich Nichthelfen auferlegt haben. Ziehen Sie das durch?

Nicht ganz. Ich habe den Job meines Lebens gefunden: Ich arbeite ehrenamtlich in der Bahnhofsmission.

Wann haben Sie das erste Mal bemerkt, dass Sie unter dem Helfer­syndrom leiden?

Ich leide daran, nicht darunter. Wenn ich darunter leide, dann geht es mir schlecht. Wenn ich daran leide, dann ist es nur eine Ansammlung von Symptomen. Mich hat das Helfenwollen ja nie gestört. Pathologisiert worden bin ich immer nur von außen. Mich hat interessiert, was die Leute damit meinen, wenn sie Helfersyndrom sagen.

Jedenfalls keine richtige Krankheit?

Nee, eher ein Sammelbegriff. Vor 40 Jahren, 1977, hat der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer ihn in seinem Buch „Die hilflosen Helfer“ zum ersten Mal benutzt. Da wir hier im Café „Romeo und Romeo“ sitzen, erkläre ich das jetzt mal mit Shakespeare: Sie müssen sich das Gefühl der Enttäuschung der Helfenden nach der Hilfsmaßnahme so vorstellen wie bei „Romeo und Julia“. Julia schickt Romeo nach Hause, weil ihr alles zu schnell geht und er sagt: „So unbefriedigt lässt du mich zurück?“ Der Orgasmus bleibt aus.

Wie sieht denn der Orgasmus beim Gutseinwollen aus?

Die Person, der geholfen wurde, applaudiert begeistert. Gut, sie muss nicht ewig dankbar sein, aber ein bisschen schon. Und wenn nicht, stellt sich die Enttäuschung ein. Erwartung produziert Enttäuschung. Siehe Romeo und Julia.

Sie lassen sich nicht gern helfen?

Wegen meiner Augenoperationen wurde ich zur hilflosen Helferin. Ein interessanter Perspektivwechsel. Auf Hilfe angewiesen zu sein, wer findet das schon gut? Wobei, es gibt schon Leute, die lassen sich gern den Arsch nachtragen. Aber die meisten werden einfach sauer, wenn sie sich zur Dankbarkeit verpflichtet fühlen.

So wie Sister Tikka, die Sie in Ihrem Buch beschreiben und die Sie in einem Jerusalemer Hospiz betreut haben?

Ja. Klar wurde die sauer. Ich komme mopsfidel nach Jerusalem, hospitiere in einer Elendskulisse, mache nach Feierabend Yoga – und sie liegt da, ist meinem Feuereifer ausgeliefert und hat Krebs im Endstadium.

Trotzdem haben Sie das Helfen nicht gelassen.

(singt) Wir lassen uns das Helfen nicht verbie-hie-ten. Sister Tikka hat mich nach einigem Murren akzeptiert. Ich hab von ihr gelernt: Hilfe zu akzeptieren, ist schlau. Alte Leute, die partout nicht ins betreute Wohnen oder zu den Kindern wollen und nachher zuhause über den Teppich fallen, sich den Oberschenkelknochen brechen und im Pflegeheim langsam vor sich hin eitern, sind nicht lernfähig. Das hat auch damit zu tun, dass diese Generation nie beim Therapeuten war.

Sich mit den Alten zu beschäftigen ist also schlau?

Die Alten sind jeden Tag in den Zeitungen: Sie fahren Kaufhäuser zu Klump, zerhacken ihre Möbel, springen mit 100 aus dem Fenster. Sie sind eine unberechenbare Größe – und wir bewegen uns mit jedem Tag, der vergeht, auf ihre Gruppe zu. Alte Leute sind zwar störrisch, aber sie haben Erfahrung, Weisheit und immer noch was übrig, das wir aufnehmen können.

Der Beruf des Altenpflegers war in den 70ern und 80ern mal cool. Wie wird er das wieder?

Ich arbeite daran. Ich hab mal getwittert: „Hier riecht es so komisch. Ich glaub, ich muss mal wieder die Paradigmen wechseln.“ Das Wort Paradigmenwechsel ist so abgedroschen, aber ich glaube, wir haben einen: Der Beruf der Journalist*in zum Beispiel ist nicht mehr cool. Der der Lehrer*in auch nicht. Die Zeit des Herrschaftswissens ist vorbei. Heute kann jeder veröffentlichen, heute kann jeder Quellen hinterfragen. Altenpflege könnte gerade vor dem Hintergrund der Pflegedebatte und dem selbstbestimmten Sterben dagegen nochmal richtig interessant werden.

Gilt das, was Sie beschreiben – die Enttäuschung darüber, dass die Geholfenen nicht so reagieren wie man will – auch für die Deutschen nach dem kurzen Sommer der Willkommenskultur 2015?

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Das ist die Frage. Man muss in der Lage sein, sich in den anderen reinzuversetzen. Das kann ich als jemand, der 1989 regulär befreit wurde und dafür Dank schuldet, recht gut.

Fühlen Sie sich als Ostdeutsche?

Mit der Ausnahme, dass ich viele ostdeutsche Schlager und Pionierlieder kenne, würde ich das verneinen. Das habe ich mir alles in den Weltmeeren abgewaschen. Aber, wie heißt es in der Gewaltfreien Kommunikation: „Ich höre was, was du nicht sagst.“ Wenn jemand immer nur „Osten“ versteht, dann kann ich antworten, was ich will, ich stecke in der Ost-Schublade. Oder in der Frauen-Schublade. Je nach Vorurteil. Deswegen lesen auch unterschiedliche Leute mein Buch ganz unterschiedlich.

Wie würden Sie es denn lesen?

Ich würde jetzt mal ketzerisch sagen, es geht gar nicht um das Helfersyndrom, es geht um die Abstumpfung, der ich entgegenschreibe. Nur eben nicht auf der Zeitgeist-Ebene.

Eine der lustigsten Stellen in „Hier noch wer zu retten?“ ist der Dialog mit Ihrem Anwalt, mit dem Sie Ihre Patientenverfügung redigieren.

Als ich daran gearbeitet habe, war das überhaupt nicht lustig. Aber wenn ich sie jetzt bei Lesungen mit verteilten Rollen vorlese, lachen alle. Es ist, wie Woody Allen mal sagte … oh. Kann ich den überhaupt noch zitieren? Das wird mein nächstes Essaythema. Da müssen ganz viele rein: Michael Jackson, Polanski … Müssen alle weg!

Glauben Sie das wirklich?

Ich habe immer gesagt: Ich trenne das Werk vom Autor. Aber ist das möglich? Das ist doch völlig schizophren. Das Werk kommt ja auch aus einem Überwältigungsvorsatz, einem männlichen. Muss ich jetzt nur noch Filme und Bücher von Frauen gucken und lesen? Ja, vielleicht eine Zeit lang.

Was hat denn nun Woody Allen gesagt?

Komödie ist Tragödie plus Zeit.

2014 hat Ihr Ehemann, der MDR-Intendant Udo Reiter, Suizid begangen. Seitdem haben Sie kein Buch veröffentlicht. Sie haben mal gesagt, dass immer zufällig ein Buch fertig ist, wenn Sie in eine neue Lebenssituation kommen. Sind Sie in einer neuen Lebenssituation?

Man könnte sagen, ich bin im Aufbruch. Ich war tot und lebe wieder. Ich war unsichtbar und werde wieder sichtbar. Das fühlt sich gut an.

Haben Sie das Buch geschrieben, um die Trauer zu verarbeiten?

Unbewusst schon. Ich wollte in den letzten fünf Jahren weg sein. Aber „weg“ ist ja kein Zustand. Um wieder auftauchen zu können, musste ich mich selber austricksen. Einfach ein Therapiebuch schreiben hätte ich peinlich gefunden. Mein erster öffentlicher Auftritt war bei einer Lesung für den damals in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel in Köln 2017, die ihr organisiert habt. Ich habe mich lange versteckt hinter anderen Projekten, eine Ausbildung in Familienstellen gemacht, mich mit spirituellem Fasten und Qigong befasst, als Lektorin, PR-Frau und Twitter-Administratorin für Thomas Gottschalk gearbeitet.

Wie kam es dazu?

Mein Mann hat Thomas Gottschalk noch beim Bayerischen Rundfunk gefördert. Gottschalks waren unsere Trauzeugen. Wir hatten uns sozusagen geerbt.

Haben Sie sich Vorwürfe gemacht nach dem Suizid Ihres Mannes?

Brutal gesagt sorgt die Gesellschaft schon dafür, dass sich Hinterbliebene Vorwürfe machen. Auch wenn es sich dabei um Menschen handelt, die sich ausgiebig mit dem Für und Wider selbstbestimmten Sterbens beschäftigt haben. Beim Schreiben des Buches habe ich mich fragen müssen, ob es Teil meines Helfersyndroms ist, dass ich einen Mann im Rollstuhl als meinen Partner auserwählt habe. Einen Menschen, der entschlossen ist, sein Leben zu beenden, umstimmen zu wollen, ist hochidiotisch, weil diese Schlacht nicht zu gewinnen ist. Mein Mann selber hat immer gesagt: „Ich ziehe nur in Schlachten, die ich auch gewinnen kann.“ Bei mir war das anders, ich liebe aussichtlose Kämpfe. Unter dem Aspekt der Selbstfürsorge ist aber seine Haltung anzuraten.

Das Helfersyndrom ist eher ein Phänomen unter Frauen als unter Männern, oder?

Ja, aber nur, weil Frauen in einer männerdominierten Gesellschaft nicht auf andere Weise Anerkennung kriegen konnten. Dass das genetisch angelegt ist, würde ich entschieden bezweifeln.

Sie haben von Kalkutta bis Leipzig Alten, Sterbenden und Kranken geholfen – haben Sie herausgefunden, woher Ihr Helfersyndrom kommt?

In Kalkutta habe ich eine meiner Desillusionierungsgeschichten erlebt …

… worüber Sie für die taz am wochenende 2005 den Text „Teresa hat mich reingelegt“ geschrieben haben.

Ich habe mich gefragt, warum ich um die halbe Welt fahren muss, hier sterben die Leute ja auch. Eine Idee ist, dass ich nicht dabei war, als meine beiden Großmütter gestorben sind. Deswegen bin ich zu anderer Leute Großmütter gegangen, um die beim Sterben zu begleiten. Das hat also schon familiäre Ursachen. Meine Mutter aber sagt: „Du hattest eine schöne Kindheit. Du willst es nur nicht wahrhaben, weil es nicht zu deiner Schriftstellerlegende passt.“

Ihrer Kindheit haben Sie Ihr Buch gewidmet: Sabine Knoll. So lautet Ihr Geburtsname, den Sie 1986 noch in der DDR in Else geändert haben.

Ja, weil ich die Dichterin Else Lasker-Schüler so toll fand. Bis ich 16 war, fand ich ja auch die DDR toll, hatte da nichts auszusetzen und auch bei meiner Beschäftigung mit der kleinen Sabine musste ich zähneknirschend eingestehen, dass meine Kindheit eine Art von Paradies war und mein Helfersyndrom keine Kompensation für irgendwas aus dieser Zeit ist.

Sie schreiben mit Ihrem großartigen Humor sehr witzig von allerlei Therapieformen, die Sie ausprobiert haben, um sich vom Helfen zu heilen – von Spiritual Surgery über gewaltfreie Kommunikation bis Channeling. Allesamt wirken wie ein großes Fest der Scharlatanerie.

Finden Sie? Die Channeling-Frau kennt das Kapitel, in dem sie vorkommt, und fühlt sich gut gesehen. Letztlich sind diese Veranstaltungen Bekräftigungsversuche oder Illustrationsversuche von Hilflosigkeit.

Sie nehmen diese Veranstaltungen mit Geistern und Handauflegen aber trotzdem sehr ernst.

Mir ist nichts Menschliches fremd. Wenn ich irgendwo reingehe, dann richtig. Dann muss ich auch an den Erfolg glauben. Ob ich Kinokritiken schreibe, gärtnere, in einem Tempel lebe, Domina bin, in eine Ehe eintrete oder, wie jetzt, Queer Tango tanze. Ich steigere mich immer in einen Zustand der Euphorie, der totalen Begeisterung, denn nur diese kann dem Entgeistertsein vorangehen. Täuschung – Enttäuschung. Verliebung – Entliebung.

Haben Sie auch an die Wetterfee geglaubt?

Das war nicht wichtig. Als ich 1997 dafür gecastet wurde, dachte ich, ich krieg eine eigene Promi-Talkshow, aber dann war ich plötzlich Wetterfee.

An was glauben Sie zurzeit?

Aktuell entledige ich mich der Geheimnisse meines Lebens. Ich danke ihnen und lasse sie gehen. Ich spreche über Dinge, die ich aus Loyalität, aus Scham, aus Diskretion nie erzählt habe. Dadurch, dass ich über viele Bereiche meines Lebens sehr ausführlich berichte, andere aber weglasse, entsteht ein nicht ganz vollständiger Abdruck meiner Persönlichkeit. Viele Frauen fragen mich: Wie hast du das oder das gemacht? Und ich lüge zwar nicht, wenn ich sage: aus eigener Kraft. Aber ich lasse vielleicht weg: „Da war ich sauer auf einen Mann.“ Sie würden mich besser verstehen, wenn ich das zugäbe. Aber um es zuzugeben, muss ich es mir ja erst mal selbst bewusst machen.

Das ist das, was Sie mit dem Prinzip ­radikale Ehrlichkeit beschreiben?

Genau. Beim Schreiben an meinem neuen Buch lernte ich Prof. Dr. Hugo Schmale kennen, und dem stehle ich jetzt eine Formulierung: „Denken ohne Geländer“. Freie, mutige, ­radikale ­körperliche und geistige Entfesselung. Wenn ich interviewt werde, ist das manchmal so. Ich sage nicht etwa „blöde Frage“ und halte das für Ehrlichkeit, sondern ich fasse in Gesten und Worte, was die Frage eines Interviewers mit mir macht. Ich überspiele nicht. Der ­Regisseur Christoph Schlingensief war mal in seiner Talkshow „Talk 2000“ an Harald Schmidt gescheitert, der ihn auflaufen ließ. Schlingensief, todunglücklich, verließ, begleitet von einer Handkamera, das Studio, das Live-Publikum und seinen Gast, steckte seinen Kopf unter Wasser und hielt einen Monolog über seine Versagensangst und seine ­Untauglichkeit. Eine Sternstunde des Fernsehens und ein großartiger Anfall von Radical Honesty.

Ein Konzept, das ursprünglich aus der Psychoanalyse kommt.

Der amerikanische Analytiker Brad Blanton hat es in den 1970ern entwickelt. Als ich sein Buch las, wollte ich sofort nach Arizona und an einem dieser Camps teilnehmen, in denen man sein ganzes Leben mit allen verschwiegenen Peinlichkeiten erzählt, dabei gefilmt wird und das dann allen Menschen aus seinem Leben zeigt. Am siebten Tag sind alle Teilnehmer des Camps nackt. Ich sah mich schon mit Blanton auf einem Pferd nackt durch die Steppe mit riesigen phallischen Kakteen reiten. Ich hatte sogar schon angezahlt, aber dann entwickelte sich das Buch anders und fing an, mich zu verändern. Ich möchte nun nicht mehr mit alten, nackten, weißen Männern auf Pferden durch Steppen reiten. Nicht mal in einer Fantasie. Auch nicht in meiner Fiktion. Mein nächster Roman wird garantiert männerfrei.

Sie schreiben wieder einen Roman?

Nicht mehr in diesem Jahr. 2019 wird das Jahr, in dem ich chirurgische Baustellen schließe. Ich muss wegen einer vererbten Schwäche im Mittelfußgelenk beide Füße operieren lassen, dann kommt der Faden aus dem Auge – ich hatte vor einem Jahr eine Hornhauttransplantation und das Bangen um eine eventuelle Abstoßung ist noch nicht abgeschlossen. Und dann lasse ich mir meine Silikon-Implantate aus den Brüsten nehmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.