Ausstellung in Hannover: Im Wohnzimmer der erodierten Werte

Von der Expo bis zum NSU: Die Künstlerin Henrike Naumann setzt sich mit den Täuschungen und Enttäuschungen der Wiedervereinigung auseinander.

Ein buntes Maskottchen sitzt auf einem Stuhl

Hatte sogar mal eine Serie auf dem Kinderkanal KiKa: Expo-Maskottchen Twipsy Foto: Raimund Zakowski

HANNOVER taz | „Platz der Weltausstellung“ heißt in der Innenstadt Hannovers ein kleiner Übergangsbereich, hinter dem die Karmarsch- und die Osterstraße dann zur Fußgängerzone werden. Ansonsten scheint nicht nur in der niedersächsischen Landeshauptstadt die Erinnerung an die Expo 2000 weitgehend verblasst, vielleicht auch aktiv verdrängt worden zu sein. Dabei war diese Weltausstellung die allererste und einzige, die jemals an Deutschland vergeben wurde, wenn man spezialisierte Gewerbe- oder Bauausstellungen nicht mitzählt.

Dass die Expo so wenig des Erinnerns wert scheint, hat viele Gründe, nicht nur das finanzielle Defizit von 1,1 Milliarden D-Mark, das angesichts späterer, steuerfinanzierter Bankenrettungen ja wirklich nur die sprichwörtlichen Peanuts wären. Ganz wesentlich war wohl, dass die Expo historisch so zur Unzeit kam: Die Bewerbung datierte von 1988, also aus Zeiten eines geteilten Deutschlands, der offizielle Zuschlag am 14. Juni 1990 ging dann bereits im Wiedervereinigungstaumel unter.

Dem folgten allerdings schnell die Ernüchterung flächendeckender Deindustrialisierung des Ostens und nun auf ganz andere Weise blühende Landschaften, als sie Kanzler Kohl allen vorgegaukelt hatte. Die Expo wurde somit auch zum Zeitzeugen des sich unter westlichen Siegerallüren so diskrepant wiedervereinenden Deutschlands, das im eigenen Nationenpavillon folglich nur noch den architektonischen wie inhaltlichen Tiefpunkt der Weltausstellung zu liefern vermochte.

Aber genug des Räsonierens, denn es gibt durchaus Menschen, die sich um ein ehrenvolles Andenken der Expo bemühen, so der Verein Exposeeum. Er betreibt mit über 1.000 Relikten der Weltausstellung – Souvenirartikeln, Gastgeschenken, Mobiliar oder baulichen Resten der Pavillons – ein kleines Museum im alten Expo-Gelände der Messe Hannover.

Rentner auf Expo

Ein noch überhaupt nicht aufbereiteter Schatz des Vereins sind rund 10.000 Masterbänder mit Filmaufzeichnungen aus der 153 Tage währenden Weltausstellung. Gefilmt, so scheint es, wurde alles. „Rentner auf Expo“ ist etwa eine Kassette vom 11. Oktober 2000 beschriftet, es gibt „Küsse unterm Wasserfall“ oder (Proben-)Mitschnitte der vielen hoch- wie trivialkulturellen Musikdarbietungen des Begleitprogramms: Tosca bis Modern Talking.

Und es gibt Twipsy, das offizielle Maskottchen der Expo. Ein Wettbewerb kürte 1995 aus 17 Vorschlägen den Entwurf des spanischen Designers Javier Mariscal: eine bunte comicartige Figur mit vogelhaftem Kopf und übergroßer rechter Hand. Twipsy fungierte zweidimensional als Aufsteller, dreidimensional als Kuscheltier oder als Plüschkostüm für einen menschlichen Akteur.

Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Künstlerin Henrike Naumann auf Twipsy und die Expo stieß. Pfarrerstochter Naumann, 1984 in Zwickau geboren, ist derzeit der gleichermaßen eloquente wie originelle Shootingstar der deutschen Kunstszene, kann trotz ihrer jungen Jahre eine lange Liste internationaler Ausstellungen und Preise vorweisen.

Postmoderne möbliert

Naumanns Generalthema: die deutsche Wiedervereinigung. Sie legt nachdenklich, aber alles andere als moralisierend den Finger in die Wunden deutsch-deutscher Verwerfungen. Als die Mauer fiel, war sie gerade mal fünf, erzählt sie, politisches Bewusstsein für das, was geschah, war somit noch nicht entwickelt. Sie studierte später Bühnen- und Kostümbild sowie Szenografie, fühlte sich aber immer zum Dokumentarischen hingezogen.

Also suchte sie einen an Artefakten festzumachenden Erzählstrang für die Wiedervereinigung – und fand ihn in den Möbeln postmodern westdeutscher Machart, die in den 1990er-Jahren in den Ostwohnungen Einzug hielten. Eine verunsicherte Bevölkerung entsorgte damals mehr als willig ihren alten DDR-Hausrat, um mit den Neuerwerbungen vermeintlich auf die Höhen westdeutscher Konsumstandards und Wohnkultur aufzuschließen.

Im Kunstverein Hannover hat Henrike Naumann derzeit einen bunten Parcours installiert, in dessen Zentrum ein großes Möbelarrangement eben jener Provenienz steht, das Westen, Osten und Expo 2000 symbolisiert. Point de vue ist der „Traueraltar Deutsche Einheit“. Die Kredenz mit halbkreisförmigem Klappfach ist spirituell aufgeladen mit allem, was zum Sehnsuchtshorizont westlicher Warenwelten der DDR-Bürger gehörte: Schnickschnack, exklusive Labels, Kosmetika.

Aber, sagt Naumann, auch hier folgte ja schnell die Desillusionierung: Die vermutet teure Lux-Seife aus den Westpaketen entpuppte sich während erster Reisen dorthin als Billigprodukt vom Discounter, ähnlich die Milka-Schokolade. Zwei Kränze mit lila Kuhfellimitat tragen symbolisch diese Träume zu Grabe – und zwei Baseballschläger künden bereits von der Radikalisierung dafür empfänglicher Bevölkerungsteile.

Auch diesem Strang folgt Naumann, in die Ausstellung sind thematische Videos eingestellt. Der „Nationalsozialistische Untergrund“ bewegt sie sichtlich: Der erste Mord wurde am 9. September 2000, also noch während der Expo, verübt. Und als Beate Zschäpe am 4. November 2011 die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand setzte, war Naumann gerade zu Besuch bei ihrer Großmutter, ganz um die Ecke.

Simulierter Museumsshop

Naumanns Reflexionen zur Expo schöpfen aus dem Fundus des Exposeeums. Neben einem simulierten Museumsshop am Eingang und einer Auswahl an Expo-Filmen am Ende des Rundgangs wäre da auch ein grausliches Öl-Porträt von Birgit Breuel. Es ist eines der Gastgeschenke, in diesem Fall der Arabischen Emirate, und stellt die Expo-Generalkommissarin vor orientalischer Kulisse dar.

Die CDU-Politikerin wirkte in den Jahrzehnten vorher jedoch nicht nur als Ministerin im Niedersächsischen, sie war ab 1991 Präsidentin der Treuhand. Deren Aufgabe war es, die volkseigenen Betriebe der untergegangenen DDR nach den Grundsätzen westdeutscher Marktwirtschaft „wettbewerbsfähig“ zu machen. Häufig bestand Breuels Mittel der Wahl in der Stilllegung, eine Handlungsmaxime, aus der sie auch nie einen Hehl gemacht hatte. Die Westindustrie freute es jedenfalls.

Den so unverhofft zugefallenen Ostmarkt konnten sie locker mitbeliefern, nicht nur mit Billigvarianten postmodernen Möbeldesigns. Dass dabei aber ganz andere Werte erodierten als lediglich das Wohnzimmerinterieur, bekommen wir heute zu spüren – und dank Henrike Naumann einmal assoziationsreich vor Augen geführt.

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