Stadtgespräch
Dorothea Hahn aus New York
: Knochenbrüche, Sehnenrisse und mehr als ein Dutzend Tote seit Jahresbeginn: NYC streitet über das Rad- (und Auto-)Fahren

Woher kommst du?“, fragt der Feuerwehrmann. „Aus New York“, antwortet der Radfahrer, der auf der Eighth Avenue in New York City soeben von einem Taxi angefahren worden ist und nun auf den Krankenwagen wartet. „Dann musst du wissen, dass Manhattan nichts für Radfahrer ist“, sagt der Feuerwehrmann.

Als Greg Liambas sich drei Wochen später an die Szene erinnert, trägt er immer noch einen Verband am Bein. Dennoch ist der 64-Jährige am vergangenen Dienstag zum Washington Square Park gehumpelt und hat sich zwischen rund tausend RadfahrerInnen und fast ebenso vielen Rädern fünf Minuten lang schweigend auf den Boden gelegt. „Die-in“ heißt der Protest, an dessen Ende die Namen der 15 RadfahrerInnen verlesen wurden, die seit Jahresbeginn auf New Yorks Straßen bei Verkehrsunfällen umgekommen sind. Schon jetzt sind das fünf mehr tote RadfahrerInnen als im gesamten Jahr 2018.

Auch bei einer Trauerfeier für die 28-jährige Fahrradbotin Devra Freelander, die von einem Betonlaster an einer Straßenkreuzung in Brooklyn erfasst worden war, war es zu feindseligen Wortwechseln gekommen. „Radfahrer in New York machen uns allen das Leben schwer“, hatte der Manager des Unternehmens gesagt, zu dem der Laster gehört. Während der Trauerfeier an der Kreuzung machte ein Kollege des Unglücksfahrers die Sache schließlich noch schlimmer, als er den Trauernden aus seinem Führerhäuschen zurief: „Es ist unmöglich, euch alle im toten Winkel zu sehen.“

Bei dem „Die-in“ im Washington Square Park geht es aber nicht um skrupellose Lkw-Fahrer, sondern um den Bürgermeister von New York: „De Blasio, mach deinen Job!“, skandieren die RadfahrerInnen. Hören kann Bill de Blasio das nicht. Der demokratische Präsidentschaftskandidat macht Wahlkampf im 1.600 Kilometer entfernten Iowa. Doch in allen New Yorker Zeitungen kann er lesen, was die Demons­trierenden von ihm fordern: mehr Sicherheit für RadfahrerInnen und die Verbannung von Schwerlastern aus der Innenstadt. Obwohl sie nur 4 Prozent der Fahrzeuge auf den Straßen stellen, sind Schwerlaster in ein Drittel aller tödlichen Unfälle verwickelt.

Bei seinem Amtsantritt 2014 hatte de Blasio ein Programm namens „Vision Zero“ angekündigt. 2024 sollte es in New York keine Verkehrstoten mehr geben. Seither hat die Stadt Dutzende Kilometer neuer Radwege und 12.000 Citybikes bekommen. Inzwischen sind täglich fast eine halbe Million RadlerInnen auf New Yorks Straßen unterwegs. Aber sie müssen um jeden Quadratzentimeter kämpfen, den Pkw-, Lkw- und eine Armee von neuen Uber-FahrerInnen verteidigen, als handele es sich um Privatbesitz. Dabei kommt die Sicherheit oft zu kurz.

Während der Demo im Washington Square Park gibt es unzählige Gruselgeschichten zu hören: „Noch nie“ sei er durch die Stadt geradelt, ohne dass ihm ein Auto zu nahe gekommen sei, erzählt Sam Koneg, der von den rücksichtslosesten AutofahrerInnen Fotos macht, um sie später an die Redaktion der offiziellen Website der Stadt zu schicken. Caro Ruiz, die 55 Stunden die Woche als Blumenbotin auf dem Rad unterwegs ist, erzählt, sie sei zwei Monate lang auf Krücken angewiesen gewesen. Bei einem Unfall waren mehrere ihrer Sehnen gerissen. „Dieser Job ist so gefährlich wie Tiefseetauchen“, sagt sie. Verletzt wurde auch Brandon Lockfoot, der mehrere Knochenbrüche erlitt und drei Freunde bei Verkehrsunfällen verloren hat. Jeden Tag hoffe er, dass es nicht auch ihn erwischt.

De Blasios Fahrradpolitik sehen viele Teilnehmer an dem Die-in nichts als PR. „Es reicht nicht, weiße Linien auf den Asphalt zu malen“, sagt Josh Weitzner bitter. Ihm gehört der New Yorker ­Messengerdienst Samurai, für den die verunglückte Devra Freelander gearbeitet hatte. Die RadlerInnen wollen ein dichteres Radwegenetz und klare räumliche Trennung zwischen Fahrbahn und Radwegen. Außerdem müsse die ­Polizei AutofahrerInnen verfolgen, die rasen, anderen die Vorfahrt nehmen oder auf Radwegen parken. Einige schlagen sogar vor, dass Radfahren zum ­Pflichtfach für Führerscheinprüfungen wird.

Andere denken laut über alternative Verkehrskonzepte nach. „Wir hören, dass es zu viele Radfahrer gibt“, sagt ­Ellen McDermott von der Gruppe Transportation Alternatives, „aber wir sagen: Es gibt zu viele Autos“. Im Autoland USA ist das keine Kleinigkeit.