Kosmonautin zum
Anfassen

In den sechziger Jahren war die Welt im Raumfahrtfieber, mit dem die Stars aus dem All auch die Berliner ansteckten – zum Beispiel 1963 in Ostberlin. Eine Spurensuche

Berühmtes Graffito: „Astronaut Cosmonaut“ von Streetart-Künstler Victor Ash Foto: imago

Von Gunnar Leue

Das Finale der Fußball-EM 2024 wird höchstwahrscheinlich im Berliner Olympiastadion stattfinden. Das ist so lange hin, dass bis dahin vielleicht schon wieder Amerikaner auf dem Mond gelandet sein werden wie schon einmal vor fast genau fünfzig Jahren. Damals war die Raumfahrt ein Thema, das die Massen elektrisiert hat.

Bekanntlich gab es in den sechziger Jahren einen Wettlauf im All zwischen der Sowjetunion und den USA, der Teil des Konkurrenzkampfs beider Systeme war. Zur propagandistischen Verwertung der jeweiligen Etappensiege gehörten Triumphzüge von Kosmonauten beziehungsweise Astronauten in Ost- und Westberlin und – zumindest im Falle der DDR – die raumfahrtaffinen Benennungen von Straßen, Schulen und Kinos.

Auch nach dem ersten Kosmonauten Juri Gagarin und der ersten Kosmonautin Walentina Tereschkowa – beide im Oktober 1963 bei einem Besuch in Ostberlin rundum gefeiert – wurden Schulen in Hohenschönhausen beziehungsweise Karlshorst benannt. Heute heißen sie nicht mehr so, aber erhalten hat sich der 1976 gegründete RaketenModellsportClub „Juri Gagarin“ in Marzahn. Zudem gibt es Restspuren der Weltraumbegeisterung im Ausgehleben wie die „Bar Gagarin“ in der Knaackstraße in Prenzlauer Berg oder den Club „Kosmos“ in der Karl-Marx-Allee in Friedrichshain.

Im Westteil der Stadt sind sichtbare Referenzen an die frühe Raumfahrt noch spärlicher. Dafür gibt es in Kreuzberg von der Mariannenstraße aus die wohl imposanteste Ehrerbietung an die Weltallstürmer zu sehen: „Astronaut Cosmonaut“ heißt das Graffito des französischen Streetart-Künstlers Victor Ash, das einen Raumfahrer beim Weltraumspaziergang zeigt und seit 2007 eine Brandwand ziert.

Mit seinem Namen „Astronaut Cosmonaut“ erinnert das Kunstwerk bewusst daran, dass die Anfangszeit der bemannten Raumfahrt stark vom Kampf der Systeme in Ost und West, bis hinein in die Sprache, geprägt war. Der ­„Astronaut“ im Westen und der „Kosmonaut“ im Osten mögen in dieselbe außerirdische Sphäre aufgebrochen sein, dorthin gestartet waren sie von Ländern, die unterschiedlicher nicht sein konnten.

Was auch die drei US-Astronauten der Apollo-11-Mondmission betonten, als sie 1969 zum Triumphzug nach Westberlin kamen und es als Insel der Freiheit lobten. „Ich danke Gott, dass die Kommunisten keine Mauern im Weltall bauen können“, hatte Michael Collins erklärt. Vielleicht eine Replik auf Gagarin, der zuvor in Ostberlin verlauten ließ, er hätte sich nie getraut, mit einer amerikanischen Rakete in den Weltraum zu fliegen … Nun, inzwischen fliegen alle möglichen Leute mit amerikanischen Raketen. Und laut Ankündigung von US-Vizepräsident Mike Pence würden „die erste Frau und der nächste Mann auf dem Mond beide amerikanische Astronauten sein“.

Sollte die nächste Mondlandung der Amerikaner mit dem EM-Finale 2024 in Berlin zusammenfallen, würden sich übrigens 38 Prozent der Deutschen trotzdem fürs Fußballgucken entscheiden, wie jüngst eine repräsentative Umfrage ergab. Die Raumfahrtbegeisterung von 1963 – als Walentina Tereschkowa sogar ein Fußballspiel anstieß – ist noch nicht wieder erreicht.

Als Kosmonautin Walja die Monroe machte 44– 45