Sound ist Ermächtigung

Tatiana Heuman aus Buenos Aires lebt seit acht Monaten in Berlin, um hier ihre Musik zu machen. Am Wochenende wird sie beim Festival Heroines of Sound zu hören sein

„Ich merkte: Mit der elektronischen Musik kann ich unabhängig sein. Alles, was ich brauchte, war ein neuer Computer,“ sagt Tatiana Heuman Foto: Heroines of Sound

Von Jens Uthoff

Tatiana Heuman kann ganz schön abgefahrene Geräusche machen. Nein, nicht jetzt, wo sie beim Interview in einem Café im Graefekiez sitzt, am Espresso nippt und sich aufgrund der kühlen Grade eine dicke schwarze Jacke überzieht; hier sitzt einfach eine selbstbewusste junge Frau, 27 Jahre, die dabei ist, ihren künstlerischen Weg zu finden. „Für mich war Sound immer auch eine Art der Selbstermächtigung, die mich voranbringt“, sagt sie.

Es klingt in der Tat stark, aufregend, herausfordernd, wenn Heuman sich als Musikerin hinter Laptop, Drumpads und Controller verschanzt und ins Mikrofon singt. Zerhackstückte Beats, zerfasernde Klangflächen und ein ständiges Flackern und Flirren sind dann zu hören, dazu singt Heuman sphärisch, jagt ihre Stimme durch Effektgeräte. Es ist ein Sound, der so futuristisch anmutet, so viele Ebenen hat und so oft gebrochen ist, dass man zwangsläufig neugierig wird: Wer ist diese Frau?

Heuman stammt ursprünglich aus Buenos Aires, seit rund acht Monaten lebt sie in Berlin. Musik macht sie seit etwa zehn Jahren, damals gründete sie das Improv-Trio (heute Duo) Ricarda Cometa, das für einen perkussiv-rhythmischen Sound steht und mit dem sie im Herbst auch wieder tourt. Bei Ricarda Cometa spielte sie zunächst Trompete, heute vor allem Drums. In Argentinien hatte sie zudem von den frühen Zehnerjahren an das Elektro-Duo Astrosuka mit dem russischen Künstler Sergey Kolesov – sie begann, Beats zu bauen und sich zunehmend mit Musiksoftware zu befassen. Heute ist sie nicht mehr bei Astrosuka. Sie entschied sich, ihr eigenes Ding zu machen. „Ich merkte: Mit der elektronischen Musik kann ich unabhängig sein. Alles, was ich brauchte, war ein neuer Computer.“

Den hat sie inzwischen. Davon überzeugen kann man sich beim diesjährigen Heroines-of-Sound-Festival, wo Heuman auftritt. Sie passt einerseits hervorragend ins Programm, weil die lateinamerikanische Szene Berlins mit Paula Schopf/Chica Paula (Chile) und Laura Mello (Brasilien) ohnehin gut vertreten ist – und weil es auch einen Talk zum Thema elektronische Musikszene und Gender in Südamerika geben wird. Andererseits ist sie Teil einer jungen Musikerinnengeneration, in der es – hoffentlich – selbstverständlicher wird, dass auch Frauen unter den Knöpfchendrehern sind. Das Festival, das in diesem Jahr Bettina Wackernagel, Antye Greie (AGF) und Sabine Sanio kuratieren, verschreibt sich seit Gründung 2014 der Sicht- und Hörbarkeit von Frauen in der elektronischen Musik.

Heuman ist dabei eine von vielen südamerikanischen Sound Artists, die versuchen, sich in Europa eine Existenz aufzubauen. „In meinem Heimatland ist es kaum möglich als Künstlerin zu überleben“, sagt sie. „Dort arbeitest du nebenher so viel, dass der Job deine ganze Energie frisst.“ Für sie sei es in Buenos Aires etwa nicht möglich gewesen, von zu Hause auszuziehen; so ging sie nach Europa, von wo aus ihre Familie vor mehreren Generationen nach Argentinien übersiedelte (ein n im Nachnamen ging dabei verloren).Dabei ist die Szene auch in Argentinien eigentlich stark, wie sie erzählt. Es hat sich etwa ein gut funktio­nierendes Künstlernetzwerk namens „Trrueno“ gebildet, von dem sie profitiert hat. Heuman hat auch mitgeholfen, ein feministisches Soundarchiv namens #VIVAS aufzubauen; ähnlich wie bei Heroines of Sound geht es dabei darum, vergessene weibliche Musikgeschichte aus der Versenkung zu holen.

Das Festival Heroines of Sound läuft vom 12. bis 14. Juli im Radialsystem. Neben Konzerten und Performances werden Filmporträts und Installationen gezeigt, in denen man Heldinnen der Musik aus Vergangenheit und Gegenwart entdecken kann. Die Konzerte sind jeweils ab 20 Uhr, davor gibt es ab 18 Uhr Panels. Tatiana Heuman alias QEEI tritt am Samstagabend auf. Mit Spannung erwarten darf man auch die von Antye Greie (AGF) eigens für das Festival erarbeitete Komposi­tion (Sonntag, 22 Uhr). www.heroines-of-sound.com

Was die Akzeptanz von Frauen in der elektronischen Musikszene betrifft, scheint sich in jüngster Zeit doch etwas zum Positiven bewegt zu haben – mit Einschränkungen. „In den Communitys, in denen ich mich bewege, hat sich eine Menge getan, ich fühle mich anerkannt, alles fühlt sich irgendwie organisch an … aber ich bin mir bewusst darüber, dass dies nur für meine kleine Blase gilt.“ Und auch sie erlebe noch genug Clubabende und Partys, die sehr testosteronlastig seien.

Heumans Weg wird sie als Nächstes nach Köln führen, wo sie an der Kunsthochschule für Medien vom Herbstsemester an Mediale Künste studieren wird. Gelegentlich zweifelt sie, ob ihre Zukunft in der elektronischen Musik liegt. „Zwischendurch dachte ich mir: Ich erreiche zu wenige Leute, ich verdiene kein Geld damit, es ist schwer, Labels zu finden.“ Ihr im vergangenen Jahr erschienenes Album „QEEI“ ist beim kleinen New Yorker Label Astro Nautico veröffentlicht worden. QEEI ist aktuell auch ihr Künstlerinnenname – er habe keine besondere Bedeutung, sie fände es nur lustig, dass niemand so recht wisse, wie man es aussprechen soll.

Schaut man sich ihre extrem gut gemachten Videos an, verwundert es doppelt, dass Heuman und ihr State-of-the-Art-Sound bislang so wenig Beachtung fanden. Der Clip zu „Quemó Tu Curuyú“ (2018), einem Sommerhit für Dekonstruktivisten, spielt etwa gekonnt mit dem YouTube-Visual-Relax-Phänomen ASMR (Autonomous sensory meridian response). In dem Video gibt es ästhetisch schön aufbereitete Erdbeeren, Brombeeren und Zuckerwatte. Was will man mehr!