berliner szenen
: Die rollenden Flaneure

Wie jeden Tag durchquere ich den Tiergarten mit dem Fahrrad. Auch wenn die Strecke parallel zum „17. Juni“ nicht explizit als Radweg ausgewiesen ist, wird sie doch am häufigsten von uns Fahrradfahrern frequentiert. Den wenigen Spaziergängern dort auszuweichen ist kein Kunststück. Doch seit Neuestem gibt es weitere Anwärter für die befestigten Wege im ehemaligen Jagdrevier der Kurfürsten. Scooter haben die Innenstadt erobert und geben Touristen die Chance, am sommerlichen Verkehrschaos mitzuwirken.

Unbemerkt hat sich in mir Widerstand gegen diese neuartige Form der Fortbewegung manifestiert. Dessen werde ich mir bewusst, als ich beim Abbiegen auf besagten inoffiziellen Fahrradweg beinah in einen mittig abgestellten Roller brettere. Von wegen keine Gehwege blockieren. Aber auch ans Nicht-zu-zweit- und Mit-Helm-Fahren hält sich ja keiner.

Ist es wirklich das Sich-Hinwegsetzen über Regeln, das mir so missfällt? Möglicherweise ist auch einfach mein Ästhetikempfinden gestört, jetzt, wo das Stadtbild zugepflastert ist mit den Elektro-Untersätzen. Oder aber ich stehe schlichtweg dem Fortschritt im Wege – da hätten wir dann was gemeinsam, die Scooter und ich.

Den einzigen Fortschritt, den ich sehe, empfinde ich eher als rückschrittlich: als ob unsere unteren Extremitäten nicht schon genug verkümmern an den Schreib­tischen dieser Welt. Da ist es natürlich wichtig, sich auch noch die kurzen Fußwege von der Bahnstation zum Ziel oder umgekehrt zu sparen.

Bei zweien, die mir im Schritttempo, angeregt quatschend, auf ihren Mietrollern entgegenkommen, stellt sich mir unweigerlich die Frage, ob dies die Flaneure des 21. Jahrhunderts sind. Weniger mit Ziel als nur des Fahrens wegen scheinen sie die Stadt zu erobern.

Sophia Zessnik