Früher geheim, heute populär

Lubunca, die Sprache der LGBTI-Community, entstand im ausgehenden Osmanischen Reich. In den Achtzigern diente sie dem Schutz, heute ist sie Popkultur

Eine Teilnehmerin der Istanbuler Pride Parade im Jahr 2016 Foto: dpa

Von Lara Özlen

Als Efruz Kaya 2012 nach Istanbul zog, lernte sie eine neue Sprache, die sie zuvor noch nie gehört hatte. Lubunca ist ein Slang, den trans Frauen in Istanbul in den achtziger Jahren als eine Art Geheimsprache entwickelt haben, um sich vor Übergriffen der Polizei und Freiern zu schützen. Heute ist der Slang in der LGBTI-Community weit verbreitet, in der die trans Frau Kaya aktiv ist.

„Am Anfang fand ich Lubunca verwirrend“, sagt die Jura-Studentin im Café Şiirci in einer Seitengasse des İstiklal-Boulevards. „Je mehr ich mit den Mädchen herumgehangen habe, umso mehr habe ich es dann auch selbst benutzt. Es gefällt mir, eine Sprache sprechen zu können, die sonst niemand kann.“ Die Sprache gebe ihr das Gefühl, Teil einer Community zu sein. Ihre Freundin Zelal Mermer*, eine trans Frau, die im öffentlichen Dienst arbeitet und ebenfalls in der queeren Szene aktiv ist, stimmt ihr zu. Mit ihren Freund*innen spreche sie vor allem Lubunca. „Das türkische Äquivalent drückt nicht dasselbe aus wie der Lubunca-Begriff“, sagt sie.

Eine Sprache als Frühwarnsystem

Wer Lubunca spricht, verwendet die türkische Grammatik, ersetzt aber bestimmte Wörter durch Begriffe aus dem Romanes, dem Armenischen und dem Griechischen – den Sprachen der Minderheiten in der Türkei. Während der Slang in den 1980er Jahren weite Verbreitung bei Istanbuler trans Sexarbeiterinnen fand, reichen seine Ursprünge zurück bis ins Osmanische Reich. „Es gibt keinen klar definierten Entstehungspunkt von Lubunca. Die Sprache bildete sich gegen Ende des Osmanischen Reichs heraus“, sagt der Linguist Nicolas Kontovas, der zu diesem Soziolekt und seinem Verbreitungsgebiet geforscht hat. „Lubunca war in den Istanbuler Vierteln Beyoğlu und Şişli verbreitet. Damals verwendeten auch Türkisch sprechende queere Nichtmuslime und Sexarbeiter*innen diese Sprache. Sie sorgte für Geheimhaltung und für eine Identität.“

Im repressiven Klima nach dem Militärputsch von 1980 waren trans Frauen, die als Sexarbeiterinnen auf der Straße waren, hoher Polizei- und Militärgewalt ausgesetzt. Wer in der heteronormativen Gesellschaft offen queer lebte, riskierte, ausgegrenzt, verprügelt, vergewaltigt oder ermordet zu werden. Sexarbeiterinnen waren in den Achtzigern nicht nur mit Ausgehsperren konfrontiert. Zeug*innen aus dieser Zeit berichten von Kahlscheren, Zwangsumkleiden, Misshandlungen und willkürlichen Festnahmen. Lubunca war für die trans Frauen eine Art Frühwarnsystem, um sich rechtzeitig vor Gefahren zu schützen, ein Mechanismus, miteinander zu kommunizieren, ohne dass potenzielle Kund*innen es mitbekommen.

Kein Mapping für "taz_print_epaper", bitte eine Mail mit der Seiten-URL und folgender Ausgabe an beta@taz.de schicken, wir kümmern uns drum. <Beitrag id="3712797" DatenQuelle="InterRed" CrTime="2019-06-24 15:13:21" MoTime="2019-07-05 12:16:44" IrBeitragId="3516698" SStrId="3199264" MediaSyncId="5605476" Name="stiftung" Version="1" PubTime="2019-07-06 00:00:00" Ordnung="1" Workflow="Erfassung" Kanal="ePaper" Art="T" ElementTyp="Element">

Demet Demir, eine Istanbuler trans Aktivistin der ersten Stunde, hat 2006 in Berlin ein Lubunca-Wörterbuch mit mehr als 300 Einträgen veröffentlicht, um den Slang vor dem Vergessen zu bewahren. „Ich habe Lubunca zum ersten Mal 1980 in Taksim gehört“, erinnert sich Demir, die sich in den achtziger Jahren in der Istanbuler trans Community bewegt hat. „Nach einer Weile habe ich die Sprache selber gelernt, um mich zu schützen. Wenn zwei Lubunya (queere Personen, Anm. d. Red.) unterwegs sind und Lubunca sprechen, versteht kein Außenstehender, wenn sie sich vor jemandem warnen, der eine Gefahr darstellen könnte.“

Mit der wachsenden Organisation und Sichtbarkeit der queeren Szene verbreitete sich Lubunca über die trans Community hinaus. Heute geht es nicht mehr allein um Schutz, Lubunca ist populär geworden. Heute sagen viele Leute, auch solche, die nicht queer sind, „koli kesmek“ („Das Paket schneiden“), wenn sie von Sex reden, oder „madilik çıkarmak“, wenn sie „Streit suchen“ meinen. Mittlerweile werden auf vielen Websites, in Online-Wörterbüchern und Listen Inhalte mit Lubunca verbreitet, vor allem, wenn die Pride-Woche ansteht. Wer Lubunca beherrscht, zeigt auch, dass er oder sie die LGBTI-Kultur und ihre Popkultur kennt.

Mit den Generationen wandelte sich auch die Sprache. Im Café Şiirci erzählt Zelal Mermer, dass viele Wörter heute eine andere Bedeutung haben. Polizist hieß auf Lubunca früher „Paparon“, heute werde „Beybi“ gebraucht. „Balina“ (türkisch: „Wal“) für Soldaten sei nach den vom Militärputsch geprägten Achtzigern gar nicht mehr verwendet worden.

Mehr Sichtbarkeit, weniger Schutz
Kein Mapping für "taz_print_epaper", bitte eine Mail mit der Seiten-URL und folgender Ausgabe an beta@taz.de schicken, wir kümmern uns drum. <Beitrag id="3712798" DatenQuelle="InterRed" CrTime="2019-06-24 15:13:20" MoTime="2019-07-05 12:16:44" IrBeitragId="3516694" SStrId="3199264" MediaSyncId="5605474" Name="gazete" Version="1" PubTime="2019-07-06 00:00:00" Ordnung="2" Workflow="Erfassung" Kanal="ePaper" Art="T" ElementTyp="Element">

„Sicher ist, dass Lubunca inzwischen Mainstream geworden ist“, sagt Efruz Kaya und verdreht die Augen. Die beiden trans Frauen sind besorgt darüber, dass cis Schwule die Verwendung der Sprache ändern und sie verbreiten. Denn sie denken, dass zwischen den trans Sexarbeiterinnen und der queeren Szene, durch die Lubunca zum Mainstream wird, erhebliche Klassenunterschiede bestehen.

Dem Sprachwissenschaftler Kontovas zufolge haben auch das Internet und Prominente, die Lubunca-Begriffe verwendeten, dazu beigetragen, dass der Slang in den Mainstream gelangte. Dass sich der Gebrauch von Lubunca wandelt, wundert ihn nicht. „Es gibt keine homogene queere Szene. Weil die Szene außerdem überschaubar ist, kommt es leicht zu Änderungen im Sprachgebrauch“, sagt er. Kontovas ist der Meinung, Lubunca sollte verschriftlicht werden, um die Sprache dieser Subkulturszene zu bewahren.

Auch Zelal Mermer betont, dass die Erfahrungen der Untergrundkultur unbedingt an die junge Generation weitergegeben werden müsse. Doch die wachsende Sichtbarkeit der queeren Szene und mit ihr die Verbreitung von Lubunca führen auch dazu, dass LGBTI-Personen stärker bedroht werden.

Der Juni ist der Pride-Monat. Seit einigen Jahren nutzen die Organisator*innen mehr und mehr Lubunca in ihren Aufrufen. Dieses Jahr bietet die Popband „korospular“ (ein Wortspiel aus „koro“, dt.: „Chor“, und „orospular“, dt.: „Huren“, Anm. d. Red.) einen Workshop zum Liedermachen auf Lubunca an. Die Band singt türkische Songs aus dem Mainstream auf Lubunca.

Kein Mapping für "taz_print_epaper", bitte eine Mail mit der Seiten-URL und folgender Ausgabe an beta@taz.de schicken, wir kümmern uns drum. <Beitrag id="3712799" DatenQuelle="InterRed" CrTime="2019-06-24 15:13:21" MoTime="2019-07-05 12:16:44" IrBeitragId="3516696" SStrId="3199264" MediaSyncId="5605475" Name="spenden" Version="1" PubTime="2019-07-06 00:00:00" Ordnung="3" Workflow="Erfassung" Kanal="ePaper" Art="T" ElementTyp="Element">

Beim Kampf für mehr Rechte und der damit einhergehenden Sichtbarkeit ist nicht abzusehen, wohin sie führen: Zum einen muss man sichtbarer sein, um für Gleichberechtigung zu kämpfen. Andererseits bringt verstärkte Sichtbarkeit auch die Integration in den Mainstream sowie die Gefahr mit sich, mehr gesellschaftlicher Gewalt ausgesetzt zu werden. Wofür die LGBTI-Aktivist*innen sich entscheiden, bestimmt ihre politische Haltung.

* Name von der Redaktion geändert.

Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe