Anti-Nachhaltigkeits-Tourismus: Insel der Autos

Sylt ist immer eine Reise wert – falls man nicht mit dem Fahrrad kommt.

Mit dem Auto nach Sylt? Kein Problem! Foto: dpa

KEITUM taz | Drei Wochen Mutter-Kind-Kur im Juni auf Sylt. Herrlich, dachte ich. Natur und so. Viel Radfahren. So wie auf den anderen Nordsee-Inseln. Aber Sylt, so hörte ich immer wieder, Sylt soll noch großartiger sein. Etwas ganz Besonderes. Schließlich sangen die Ärzte ja auch von ihrer Sehnsucht nach Westerland auf Sylt. Und nicht Wyk auf Föhr.

Sylt hebt sich, das weiß ich jetzt, tatsächlich, von den anderen nord- und ostfriesischen Inseln ab. Wie alle hat sie sich dem Tourismus komplett verkauft – was auch sonst. Aber Sylt hat es geschafft, sich auf einen Tourismus zu spezialisieren, der das Gegenteil dessen ist, was landläufig mit „nachhaltig“ beschrieben wird.

Das beginnt beim Verkehr. Sylt ist selbstverständlich mit dem Flugzeug zu erreichen. Und damit sind nicht die Propellermaschinen gemeint, die auch auf der Nachbarinsel Föhr und einigen ostfriesischen Inseln landen. Nein, nach Sylt fliegen täglich Airbusse – Plural.

Der echte Sylt-Tourist nimmt den Autozug

Klar, man könnte aus Düsseldorf oder Berlin auch mit der Bahn anreisen, schließlich fährt die fast bis an den Strand. Aber der echte Sylt-Tourist nimmt das Auto mit, denn wozu gibt es sonst einen Autoreisezug? Gleich zwei Bahn-Unternehmen bieten den Transport über den Hindenburgdamm an. Die Deutsche Bahn transportiert jährlich 900.000 Autos und LKW auf die Insel und wieder herunter, in Spitzenzeiten im Sommer sind das 3.200 pro Tag. Bei der Konkurrenz, die 2016 eingestiegen ist, sind es 140.000. Hinzu kommen 140.000 Fahrzeuge, die mit der Fähre aus Dänemark hin- und zurückbefördert werden.

Dabei berichtete die Wochenzeitung Die Zeit schon 1993 darüber, die Sylter hätten „von der Autolawine die Nase voll“ und wollten die Urlauber*innen mit einem „grünen Verkehrskonzept“ dazu bewegen, das Auto zu Hause zu lassen.

Aber umgesetzt wurde das nie. Laut einer Pressemitteilung der Sylter Grünen hat sich sogar die Verkehrssituation „in den vergangenen Jahren verschlechtert“. Mittlerweile fordert selbst die örtliche CDU ein Radwegekonzept für die Insel.

Ein schmaler Streifen Land

Oder soll der Hamburger Kieferchirurg mit dem Bus zum Fine Dining in den Söl’ring Hof fahren?! Der abends nur stündlich fährt?!

Dass Sylt kein Radlerparadies ist, haben wir erst gemerkt, als wir dort waren. Unsere aus Bremen mit der Bahn mitgebrachten Räder haben wir selten genutzt – weil es kaum attraktive Strecken gibt. Das hat auch etwas mit Geografie zu tun. Sylt ist in seiner Nord-Süd-Ausrichtung ein schmaler 38 Kilometer langer Streifen Land. Da passt nicht viel mehr als eine Straße drauf und mit Rundtouren ist es schwierig.

Wer gerne denselben Weg hin und zurück fährt, kann auf der 1970 stillgelegten Trasse der Inselbahn radeln. Von Westerland in Richtung Norden ist sie sogar asphaltiert und verläuft den meisten Teil der Strecke nur in Hör- nicht aber in Sichtweite der Straße.

Und ja, im Osten gibt es Radwege, aber das ist dem Zufall geschuldet, weil die Landwirt*innen dort Zugang zu den Weideflächen brauchen. Welch Vorrang der Flug- und Autoverkehr hat, wird deutlich, wenn man wie wir in Keitum wohnt. Richtung Norden nach Kampen muss man an der Hauptstraße entlangfahren, weil der Flughafen so viel Platz einnimmt. Richtung Westerland gilt dasselbe.

Trend zum Dritt- oder Vierwagen

Dabei ist es durchaus interessant, sich einmal an die Straße zu stellen und Luxuskarren zu zählen. Anfangs wunderte ich mich noch über die vielen SUVs und Porsche Carrera mit Kennzeichen NF für Nordfriesland. Ich staunte darüber, wie wohlhabend der Tourismus die Sylter macht. Bis mir dämmerte, dass das die Zweit-, Dritt- und Viertautos derjenigen waren, die auf Sylt einen Zweit- (Dritt- , Viert-) Wohnsitz unterhalten. Und dort natürlich auch motorisiert sein müssen. Oder soll der Hamburger Kieferchirurg mit dem Bus zum Fine Dining in den Söl’ring Hof fahren?! Der abends nur stündlich fährt?! Und im Osten gar nicht?!

Zu Hause bleiben ist jedenfalls keine Alternative, denn da fehlt das puschelige Gefühl, dazu zu gehören. Das gibt es gratis beim Besuch vieler Edel-Restaurants und Strandbars, die so 90er sind, dass sie es verdient haben, als „kultig“ bezeichnet zu werden. Die Kellner*innen geben sich betont kumpelhaft, auf dass der Gast sich einbilden kann, er sei ganz besonders gern gesehen. So kaschiert das Seepferdchen bei Rantum seine mittelmäßige Küche damit, dass die Kellner – ja, nur die Männer – im Juni Wollmützen tragen wie sonst nur Käpt’n Blaubär.

Lämmchen, auf dem Deich getötet

Dabei soll wenigstens das Essen in den feineren Etablissements total regional sein. Lämmchen, das quasi auf dem Deich getötet und zubereitet wird. Fisch, direkt vom Kutter! Eben hat er noch verzweifelt nach Luft geschnappt – jetzt brät er schon in der Pfanne. Regional ist eben das neue exotisch und lässt sich gut verkaufen. „So kommt uns kein Fisch in die Pfanne, der südlich von Hamburg unterwegs war“, schreibt das Zweisterne-Restaurant Söl’ring Hof auf seiner Homepage. Einerseits. Andererseits: „Aber echte Highlights enthalten wir Ihnen natürlich trotzdem nicht vor.“

Und wer sich das fünfgängige Menü für 184 Euro nicht leisten kann, geht in die Fresshallen von Gosch und futtert, was die Weltmeere – noch – hergeben.

Dabei kann Sylt sehr schön sein. Einmal war der Seenebel so dicht, dass ich mich ganz allein am Strand wähnte. Den Zweijährigen, der die gleiche hochempfindliche Daunenjacke wie Oma und Opa trug, sah ich nicht, auch nicht das Paar, das gerade mit drei identisch aussehenden Bulldoggen aus dem Geländewagen gestiegen war. Da waren nur ich und das Meer und der Sand unter meinen Füßen.

Herrlich, dachte ich, ich bin gar nicht auf Sylt. Dann lichtete sich der Nebel und ich stieg aufs Rad.

Mehr zur zerstörerischen Macht des Tourismus finden Sie in der gedruckten taz am Wochenende oder hier .

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