Ausgehen und rumstehen von Astrid Kaminski
: Über Umwege zumQueer-Festival im HAU

Eigentlich wollte ich mir das Festival „The Present Is Not Enough – Performing Queer Histories and Futures“ am HAU sparen. Das beschloss ich schon Wochen vorher. Wegen Befürchtungen, meine Ressourcen, denen, die es sowieso schon wissen, zu erklären, warum die Zukunft queer ist, könnten erschöpft sein. Also setzte ich auf die Mainstreamstrategie Urlaub. Noch nicht einmal auf die PR-Einladung antworten mit „Sorry, ich bin in der Zeit leider in Venedig und schreibe den ultimativen Essay über die Sonnencremegesänge im Litauischen Biennale-Pavillon“, sondern einfach abtauchen.

Aber es kam was dazwischen. Eine Einladung nach Brasilien. Arbeitsmäßig. Nachdem ich aus dem gesponserten Hotelzimmer in Moema, einem der perfekt in Wohnungsbesitzer*innen mit Diamanthalsbandhunden und Hausangestellte in Uniform segregierten Stadtteile São Paulos, ausziehen musste, mietete ich ein Airbnb im Stadtzentrum. 18. Stock mit Balkon über achtspuriger Kreuzung. Zweite Nacht: Ich bin eigentlich in diesem Zustand, in dem man aus Müdigkeit noch nicht mal aufs Klo geht. Aber gegen 2.30 Uhr nachts raffe ich mich doch auf, eine Schmerztablette aus dem Koffer zu kramen und placebomäßig als Schlaftablette zu verwenden. Bis der Effekt einsetzt, traue ich mich, einen Blick vom Balkon zu werfen.

Zwischen den Skyscrapern hat der Regenwald einen kleinen Auftritt und ein Tunnel aus Grün beugt sich über die Straße. Durch das Blättermosaik leuchtet ein Schriftzug: „Wanderl--t“.

Wanderlust? So heißt ein Buch von Rebecca Solnit, das alle schon vor mir gelesen haben, das ich aber wegen eines Essays über Wandern nun tatsächlich auch las. Da es eines der wenigen Bücher ist, die ich in letzter Zeit ganz durchgelesen habe, kam mir der Verdacht, dass die Leuchtschrift vielleicht eine Art von Selbstbestätigungshalluzination sein könnte – gibt es ein Fachwort dafür?

Ein paar kuschelige Stunden später stellt sich dann heraus, dass ich zumindest in dieser Beziehung halluzinationsfrei war. „Wanderlust“ ist ein queeres, veganes Restaurant mit einem Klo für „Kentaur und alle anderen“ und tatsächlich nach Rebecca Solnit benannt. Bei Reis mit Bohnen und Gomasio checke ich Brasiliennachrichten: Der Oberste Gerichtshof hat gerade ein Antidiskriminierungsgesetz zum Schutz von LGBTI verabschiedet. Was? Funktionierende Demokratie zu Zeiten von Bolsonaro!

Reloaded. Das Queer-Festival am HAU kann kommen. Es kommt. Einerseits mit einem Denkfehler, andererseits mit Unisextoiletten. Die gab es bisher nur im HAU 2, jetzt hat auch das Jugendstiltheater HAU 1 seine komplette Ausstattung allen Gender gewidmet. Der Denkfehler bezieht sich jedoch nicht auf das Örtchen, sondern auf die Zukunft. Die wurde schlicht kuratiert.

Aus 270 Einsendungen eines Open Calls für „Manifestos For Queer Futures“ wurden 26 ausgewählt. Kuratierte Zukunft? Und wenn ja, von wem? Angaben dazu waren in der Ausschreibung nicht zu finden. Wäre das nicht anders gegangen? Durch ein Pitching vor einem Bürger*innenparlament im HAU zum Beispiel? Ziemlich verpasste Chance. Auch auf Seiten der Manifest-Performer*innen. Natürlich ist es für die Vita super, am HAU aufzutreten. Aber! Was ist zum Beispiel mit Bedingungen stellen? Eröffnet wurde das Festival mit einem Vortrag von Sara Ahmed über Beschwerde als queere Strategie im institutionellen Kontext. Das Publikum, jung, schön und akademisch, feierte seine Heldin. Mehdi-Georges Lahlous Travestie-Kitsch „Das Halsband der Taube“ zum Abschluss wird dagegen weniger gefeiert. Immerhin ein Statement. Aber an Statements mangelt es in der Welt nicht gerade.