„Es geht an der Realität vorbei“

Bilanz nach zwei Jahren: Sozialarbeiterin Julia Buntenbach-Henke über das Prostituiertenschutzgesetz

Foto: privat

Julia Buntenbach-Henke, 37, ist Erziehungswissenschaftlerin und Sozial- und Gesundheitsmanagerin. Seit 2017 leitet sie die Fachberatungsstelle Prostitution.

Interview Julika Kott

taz: Frau Buntenbach-Henke, mit welchen Themen kommen Sexarbeiter*innen zu Ihnen?

Julia Buntenbach-Henke: Das ist je nach Standort unterschiedlich. In St. Georg arbeiten wir hauptsächlich mit Frauen zusammen, die auf dem Straßenstrich und in der Armuts­prostitution tätig sind. Außerdem sind viele Frauen nicht krankenversichert, sprechen teilweise kein Deutsch und haben kein gesichertes Einkommen. Allgemein brauchen sie Unterstützung bei der Vermittlung ins Regelsystem oder beim Umstieg in einen anderen Beruf.

Deckt das Prostituiertenschutzgesetz die Bedürfnisse der Betroffenen?

Unseren Erfahrungen nach sind die gut aufgestellten Sexarbeiter*innen angemeldet. Jedoch geht das Gesetz an der Lebensrealität von denen, die es wirklich bräuchten, vorbei und sie melden sich häufig nicht an.

Bietet es keinen Schutz?

Bestimmte Maßnahmen haben schon einen Schutzcharakter, wie zum Beispiel die Kondompflicht, oder die Notruf­systeme. Außerdem unterstehen Betriebe mehr Regelungen zum Schutz der Sexarbeiter*innen. Aber die Maßnahmen, die sich auf die Sexarbeiter*innen selbst beziehen, sind dazu nicht unbedingt geeignet.

Welche neuen Abhängigkeiten befördern das Gesetz?

Besonders wenn Sexarbei­ter*in­nen aus der Armutsprostitution die Bedingungen und die Anforderungen für die Anmeldung nicht erfüllen und nicht verstehen, tendieren sie dazu, wieder im Verdeckten zu arbeiten. Sie sind dann für uns nicht mehr erreichbar und auf Strukturen angewiesen, die ihnen das illegalisierte Arbeiten ermöglichen. Das fördert eben Abhängigkeiten.

Wovor haben sie Angst?

Häufig sind es die Angst vor Stigmatisierung, Sorgen um den Umgang mit den personengebundenen Daten oder sogar Angst davor, in ihrem Umfeld geoutet zu werden. Allein die Tatsache, dass sie einen Ausweis mit einem Bild bei sich tragen müssen, ist stigmatisierend.

Welche konkreten Nachbesserungen schlagen Sie vor?

Unbürokratische Beratungsstellen wie die unseren, die entlang der Lebenslagen der Betroffenen arbeiten, müssen ausgebaut werden. Außerdem muss der Erwerbsbereich anderen gleichgestellt werden, um offensiv gegen Stigmatisierungen und Diskriminierung zu arbeiten. Dann brauchen sich Sexarbeiter*innen nicht mehr verstecken.