DFB-Team vor dem Viertelfinale: Das Spiel ist nur nicht kreativ

Vor der Partie gegen Schweden wird diskutiert: Kann sich das Team noch steigern? Waren die bisherigen Siege verdient? Wo ist die Spielmacherin?

Dzsenifer Marozsan

Wie stark Deutschland ist, hängt auch von Dzsenifer Marozsan ab Foto: Imago Images / Kirchner

PARIS taz | So allmählich ist es ihnen genug mit der Demut. Die Versprechen auf spielerische Besserung werden von Spiel zu Spiel knapper, und nach dem Sieg gegen Nigeria reagierte Martina Voss-Tecklenburg recht verschnupft auf Kritik. „Uns fehlt eine der besten Spielerinnen der Welt“, sagte sie, „und da wird auch noch hinterfragt, warum dies oder das nicht richtig läuft.“ Nein, da darf man nicht so dreist kritisch hinterfragen.

Die Reporterschaft ist ohnehin einheitlich uneins, die Analysen gehen oft bizarr diametral auseinander. Wie gut oder schlecht sind diese Deutschen nun? Ohne ernsthafte Gegnerinnen außer Spanien lässt sich das weiter kaum sagen. Die Ergebnisse stimmen, die Mentalität auch, eines fehlte der Mannschaft bisher sichtlich: die spielerische Kreativität. Ein Punkt, bei dem die Deutschen seit Jahren den eigenen Ansprüchen hinterherlaufen, und neben Dzsenifer Marozsán mangelt es an Weltklasse. Woher kommt das?

Wie man das deutsche Team bei diesem Turnier bewertet, hängt auch davon ab, wo man startet. „Im Moment ist eigentlich nicht mehr drin“, sagt Philipp Eitzinger vom Blog Ballverliebt; seit 2011 analysiert er Frauenfußball. „Das kommt erst wieder, wenn eine Trainerin vier bis sechs Jahre lang ihre eigene Philosophie einführen konnte, die man von unten herauf durchzieht.“ Das Hin und Her der letzten Jahre, Neid, Jones, Hrubesch, jetzt MVT, zeugte von Konzeptlosigkeit, auch taktisch war es ein einziges Wechselspiel.

Man wähnte sich an der Weltspitze und tat nicht mehr viel. Vom Spiel der Deutschen bei der WM ist Eitzinger jetzt „positiv überrascht“. Voss-Tecklenburg habe unter anderem die Defensive stabilisiert. Sie reagiere stark während des Spiels, nutze die Vielseitigkeit der Spielerinnen. „Sie bringt eine Flexibilität, die man vom DFB-Team nicht gewohnt ist.“ Und künftige Gegner könnten diesem deutschen Spiel eher liegen als mauernde Underdogs.

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Eitzingers Lob zielt auch auf Voss-Tecklenburgs Gespür für neue Spielerinnen. Marina Hegering debütierte unter ihr, ebenso Lena Oberdorf und Klara Bühl, Giulia Gwinn machte einen Sprung nach vorn; die Jungen bringen Schwung. Sind die spielerischen Probleme also nur Altlasten?

Die Deutschen hatten tatsächlich wenig Zeit, sich einzuspielen; allerdings treten im Spielaufbau immer wieder dieselben Schwierigkeiten auf. „Voss-Tecklenburgs Fußball ist im Grunde seines Herzens reaktiv“, sagt auch Eitzinger. „Aber das reicht im Moment, weil es kaum Teams gibt, die nicht reaktiv spielen.“ Reicht es auch für die eigenen Ansprüche?

Der Tanker muss auch mal bremsen

Der Kader ist eher stark in der Breite als in der Spitze. Bernd Schröder, mit kurzer Unterbrechung vierzig Jahre lang Trainer bei Turbine Potsdam, sagt: „Es fehlen ein, zwei Leute, die überragen. Sie spielen dasselbe durchschaubare Muster. Und ich warne davor, alles nur an Marozsán auszurichten.“ Auch Schröder ist mit dem Auftritt der Deutschen sehr zufrieden. „Die Leistung war gut“, sagt er. „Für ganz oben müssen wir noch viel arbeiten.“ Es sind ähnliche Aspekte, bei denen er sich Verbesserungen wünscht: „Uns fehlt eine kreative Gestalterin. Alle marschieren, aber es fehlt teilweise die Übersicht.“

Schröder vermisst auch Führungsspielerinnen. Und ein wenig erinnert das an die Männer beim vergangenen WM-Turnier. Die Frauen haben in ihrer Jugend großteils mit Jungs gespielt, sie sind Kinder derselben Trainingskonzepte. Solcher, die vielleicht zu sehr aufs brave Kollektiv ausgerichtet waren, die Überraschungsmomente, eins-gegen-eins und spielerische Entwicklungen in anderen Ländern vernachlässigten.

Bei den Frauen, wo qualitative Unterschiede zwischen den Nationalteams wesentlich größer sind, hatte das weniger Folgen. Denn die anderen haben auch oft spielerische Probleme. Das viel kritisierte 1:0 gegen Spanien sah im Nachhinein mit jeder Minute besser aus, je länger man zuschaute, wie die USA gegen die Spanierinnen beinahe ausschieden. Nur wenige Glanzpunkte, bei den Deutschen noch weniger. Aber sie siegten.

„Die Henne sind die Klubs, das Ei sind die Spielerinnen“, formuliert Schröder. Dass die deutschen Klubs in den vergangenen Jahren eher halbherzig in den Frauenfußball investierten, schlägt sich in fehlender Weltklasse nieder. Und damit in einer Abhängigkeit von Marozsán, die eher nicht der Typ ist, eine Mannschaft mitzureißen. Es geht jetzt darum, die vorhandenen Strukturen wieder besser zu nutzen. Schröder hält Voss-Tecklenburg für eine gute Wahl. Perspektivisch sieht er Talente nachkommen. „Sie haben schon gemerkt, dass sie hinten dran sind“, sagt er über den DFB. „Aber das ist ein großer Tanker. Wenn der bremst, läuft er erstmal ein bisschen weiter.“ Für die großen spielerischen Schritte kommt dieses Turnier vielleicht zu früh.

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