Brutstätte
des
Bösen

Aus der Meyer Werft in Papenburg kriechen die Monster hervor, die die Küsten der Weltmeere heimsuchen. Die Überführung der Schiffe ist selbst eine Touristenattraktion

Kreuzfahrtschiffs-Überführung als Touristenattraktion: Schaulustige warten beim Emssperrwerk Gandersum auf eine Aida Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Von der Ems Benno Schirrmeister

Tourismus ist eine Industrie. Mit Leben füllt sich dieser Satz, in seiner jähen Wahrheit tritt er als Erfahrung vor Augen an der Ems: Im Süden ist das ja noch ein hübsches Flüsschen, an dem entlang sich schön radeln lässt. Selbst in Haren noch, wo es ein bisschen Hafenwirtschaft gibt, sieht das Wasser aus, wie Wasser mit Grün- und Blautönen. In Gandersum aber, am Sperrwerk, bietet sich das so bedrückende wie eindrucksvolle Bild eines toten Flusses. Schlickschlieren, in denen sich helles mit dunklem Braun vermischt, strudeln träge ans Bauwerk.

Das Nass dünstet einen seltsamen Odeur aus, brackig, ja, aber auch ölig und chemisch. Es riecht nicht nach Fisch, nicht einmal nach Fäulnis, nichts, was im Zusammenhang mit Leben steht strömt so etwas aus: Es ist eine Industrierinne, zurechtgemacht, ausgebaggert und aufgestaut für den großen Player der Tourismushardware, die Kreuzfahrtwerft Meyer zu Papenburg, die ihre Schiffe mit bis zu 8,5 Metern Tiefgang von Papenburg bis nach Emden durchs Flachgewässer presst. Das wollen die Leute sehen.

Weltmarktführer

Das Traditionsunternehmen aus Papenburg im Emsland ist mit 3.450 Mitarbeitern einer der weltweit führenden Kreuzschifffahrtsbauer. Dieses Jahr werden drei Ozeanriesen fertiggestellt, für das nächste sind ebenfalls drei bestellt, für die folgenden Jahre bis 2023 sind jeweils zwei in Auftrag gegeben.

Der Fluss Ems

Um ihre Kreuzfahrtschiffe zum Meer zu überführen, nutzt die Meyer Werft die Ems, die sie bei jeder Überführung am Sperrwerk in Gandersum aufstauen muss. Um den Zustand der Ems zu verbessern, unterzeichneten die Meyer Werft, das Land Niedersachsen, die betroffenen Landkreise, und die Naturschutzverbände im Jahr 2015 den „Masterplan Ems 2015“. Seine Wirkung ist umstritten.

Übernahmen

1997 übernahm Meyer die Neptun Werft in Rostock, 2014 folgte die Werft der STX-Gruppe im finnischen Turku.

Firmensitz Luxemburg

2015 wurde bekannt, dass die Meyer Werft den Firmensitz ihrer Muttergesellschaft nach Luxemburg verlegt hat. Nach Angaben des Unternehmens konnte so die Einsetzung eines Aufsichtsrats vermieden werden. Dieser wäre „extrem hinderlich gewesen“ und hätte „eventuell den Erfolg verhindert“.

Das Sperrwerk ist touristisch erschlossen, selbstverständlich ist es eine eigene Station auf der separat beworbenen Kreuzfahrt-Route, und selbstverständlich verschweigt die Info-Tafel, dass der Hochwasserschutz, den das Brachialbauwerk für die Gemeinden flussaufwärts bedeutet, die Überflutungsgefahr flussabwärts erhöht.

Aber im Tourismus geht’s immer darum, das Gute und Schöne zu verkaufen, egal wie wahr. Und mit 50.000 BesucherInnen per anno gilt das Sperrwerk als eine der Topsehenswürdigkeiten der Region. Die setzt sonst eher auf naturnah, auf nachhaltig und sanft: „Ausflugsmöglichkeiten ohne Grenzen, ideale Fahrrad- und Wanderstrecken, Kanutouren auf naturbelassenen Kanälen, dazu Ruhe, Erholung und Gastfreundlichkeit“, so die Selbstdarstellung der Gemeinde am Ems-Ästuar, „das ist Urlaub in Moormerland“, und das passt so gut in eine Zeit, in der alle über den Klimawandel reden und die Katastrophe, die nahe ist.

„Willkommen bei den Machern“, markiert ein Schild die Grenze zwischen Kreis Leer und Kreis Emsland. Schon vorher ragt, weit übers Land sichtbar, die gigantische Halle der Meyer Werft in den glutheißen Himmel, inkommensurabel wie einer jener gotischen Dome, in denen Heinrich Heine Wahrzeichen der Dummheit erkannte. Das ist Papenburg. Beziehungsweise nein, das ist nicht Papenburg. Papenburg ist ein beschauliches Örtchen, lieblich geradezu, immer am Kanal lang gebaut, große Weiden, Blumenbrücken über den Kanal und angenehme Cafés.

Schon vorher ragt, weit übers Land sichtbar, die gigantische Halle der Meyer Werft in den glutheißen Himmel

Das hier ist also nicht Papenburg, sondern das ist die Fabrik, mit der sich Papenburg auf Gedeih und Verderb identifiziert hat. Und die fast jeder, der die Stadt besucht, besichtigt: Noch hat kaum ein Bundesland Ferien, aber die Reisebusse stehen dicht an dicht in der prallen Sonne auf dem Besucherparkplatz, und für Privatautos ist auch kein Plätzchen mehr zu sehen, dabei gibt es einen Shuttle-Service aus der Stadt zur Werksführung.

Unter zwei Stunden ist die nicht zu haben, die meisten dauern länger, zehn Varianten führt das Tourist-Office in seinem Jahreskatalog auf, von der VIP-Führung über die Familienführung bis zur „Schiff Bar“-Führung mit Cocktail vorab. Und die Leute rennen den Meyers die Bude ein: 250.000 Gäste empfange man jährlich im Besucherzentrum der Werft, heißt es, mehr als ein Drittel aller Papenburg-Touristen.

Die Brutstätte: ein Kreuzfahrtschiff verlässt die Montagehalle der Meyer Werft Foto: Ingo Wagner/dpa

Schatten tut gut, auch wenn er nicht von Bäumen stammt, sondern von einer Montagehalle. Es riecht nach Öl, Bauhelmträgern, Industrie ist hier wörtlich gemeint, eine schweißtreibende, harte Arbeit, fast 4.000 Beschäftigte, Dengeln, Löten, Hämmern, Schleifen: Hochhausgroß, surreal, in weißen Hüllen liegt ein Schiffstorso im Trockendock, eingerüstet, Männer wimmeln an der Fassade im zehnten, elften, 20. Stockwerk: Es ist wie beim Bau eines Hotel-Hochhauses zuschauen.

Nein, es ist wie beim Bau einer Hotel-Hochhausstadt zuschauen, die auf dem Meer wird schwimmen können, angetrieben von Schweröl, und für deren Überführung an die 40 Kilometer entfernte Küste der Fluss vernichtet wird, dauerhaft und immer wieder, ein einzigartiges Spektakel, das man nicht verpassen will, natürlich: Die geballte zerstörerische Kraft des Tourismus als touristische Attraktion. Ein echter Gegenentwurf zu allem, was Nachhaltigkeit genannt wird. Das Wort hat im Deutschen kein überzeugendes Antonym, aber der Blick aufs Englische hilft da weiter. Merriam-Webster empfiehlt als Gegensatz zu sustainable: absurd.