Hajo Schiff
Hamburger Kunsträume
: Mit magischen Bilderfahrzeugen durch den Diskurs

Für manche Kunsthistoriker ist er fast ein Gott: Der Hamburger Kulturwissenschaftler Aby Warburg. Und sein Heiligtum ist die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg, das von ihm selbst entworfene Bibliothekshaus in der Heilwigstraße 116 mit den Inititialen KBW über der Tür. Dort wurde er nun auch zu einem Götterwesen des Voodoo erhoben.

Denn in der Reihe „Inversionen“, bei der sich Künstler*innen mit dem Nachleben des Meisters auseinandersetzen, hat der in Hamburg und Benin lebende Georges Adéagbo die Forschungen Warburgs noch einmal erweitert. Wo es in den einst hier entwickelten Bildtafeln „Mnemosyne“ um die Wanderung von „Bilderfahrzeugen“ durch die Zeiten und Kulturen Europas ging, ist nun für kurze Zeit der koloniale und postkoloniale Diskurs eingezogen. Der 1942 in Cotounou geborene, Biennalen- und Documenta-erfahrene Künstler hat im Vorraum vor der Warburg-Büste und im von der Licht-Ellipse gekrönten Vortrags- und Lesesaal „La mort et la résurrection d’Aby Warburg..!“ inszeniert.

Wie immer arbeitet er in seinen assoziativen Installationen mit der scheinbar zufälligen Kombination von verschiedenen Dingen und Informationsträgern. Am Ort, an dem einst Bücher weder alphabetisch noch systematisch, sondern nach „guter Nachbarschaft“ sortiert waren, treten nun Zeitungsausrisse mit Büchern und Skulpturen auf einem roten Orient-Teppich in Dialog.

Es sind die Zwischenräume zwischen dem gesicherten Buchwissen, der tagesaktuellen Diskussion und der zeitlosen Kunst, die sich zu neuen Sichtweisen verweben. Warburgs Wunsch, Bilderrätsel – beispielsweise die hermetischen Allegorien der Renaissance – zu lösen, wird nun aufgehoben in einen afrikanischen Synkretismus, in dem die Deutungen opak verschwimmen. Angesichts der Übertragung von Warburg-Erinnerungen in Relief­schnitzerei und Bildgeschichten von Plakatmalern aus Benin wird das eliptische Denken zwischen den Polen Ratio und Magie nun polyfokal und global. Zu sehen ist „Inversionen“ nur bis Sonntag, Infos: www.inversonen.net.

Aber die Kuratorinnen Petra Lange-Berndt vom Kunstgeschichtlichen Seminar und Rebekka Seubert vom Kunstverein Harburger Bahnhof haben auch nicht vergessen, dass Sommer ist. So gibt es heute um 14 Uhr in der Nähe des ehemaligen Anwesens der Familie Warburg in Falkenstein, im Römischen Garten, ein Picknick mit Lesungen von Georges Adéagbo und Stephan Köhler vom Kulturforum Süd-Nord. Die Weitererzählung der Kulturgeschichte kann auch – ganz in der oralen Tradition Afrikas – in Worten erfolgen.