Glücksanzugfürs Hirn

Der Kybernetiker Oswald Wiener hat schon in den 1960ern über die Mensch-Maschine-Fusion nachgedacht. Nun warnt er in Hannover vor der KI

Von Robert Matthies

Lange vor allen Diskussionen über Künstliche Intelligenz (KI), neuronale Netze, „erweiterte“ und „virtuelle“ Realitäten und lange vor William Gibsons 1984 erschienener Cyberspace-Trilogie „Neuromancer“ hat Oswald Wiener ihn erdacht: den „bio-adapter“, der sich „zwischen den ungenuegenden kosmos und den unbefriedigten menschen“ legen sollte, um den Menschen wie ein „gluecks-anzug“ „hermetisch von der her­koemmlichen umwelt“ abzuschließen. „befreiung von philosophie durch technik“, erhoffte sich der österreichische Schriftsteller davon, der eben auch Kybernetiker, Sprachtheoretiker, Protagonist der „Wiener Gruppe“ und Gastronom war (bis 1984 betrieb er in Berlin, wohin er 1969 aus Wien flüchtete, weil ihm dort ein Verfahren wegen „Gotteslästerung“ drohte, die Gaststätte „Exil“).

Zuerst erschien 1966 ein kleiner Text in der Literaturzeitschrift Manuskripte, 1969 dann ein Buch: „die verbesserung von mitteleuropa, roman“, 2013 wurde er neu aufgelegt (Jung & Jung, 226 S., 25 Euro). Ein Roman war das nicht, sondern eine furiose Zersetzung des Genres – vor allem aber ein prophetischer Text, in dem Wiener ein Bild des Cyberspace und der Virtualität entwirft, indem er, ironisch an die Technikgläubigkeit der 1960er anknüpfend, ebenjenen Mensch-Maschine-Glücks­anzug erdachte, der die miserable Ausrüstung des „schleimklumpens“ Mensch („sprache, logik, denkkraft, sinnesorgane, werkzeug“) ersetzen sollte.

Tatsächlich hatte Wiener nicht so sehr technische Fragen im Sinn, sondern nahm die Sprache als vermeintlich größte und wichtigste Erfindung des Menschen ins Visier: „aus vielen sätzen folgt erst recht ein schmarrn“. Aber zum Thema Künstliche Intelligenz hat der 83-Jährige auch heute noch einiges anzumerken – Neues zum Thema sei seit Alan Turings Überlegungen in den 1950ern eh niemandem mehr eingefallen, verriet er vor kurzem der Hannoverschen Allgemeinen (HAZ), die ihn befragte anlässlich seines Vortrages im Kunstverein Hannover heute Abend im Rahmenprogramm der Ausstellung „Artistic Intelligence“.

Über „Intelligenz und Intelligenzattrappen“ wird Wiener da sprechen, über eine Maschine also, die, so sagte er es der HAZ, „Daten in einer Weise transformiert, die nach dem Dafürhalten gebildeter Laien Intelligenz erfordert“. Tatsächlich aber funktionierten diese „Intelligenzattrappen“ gar nicht intelligent, seien nicht mehr als Ergebnis „soliden Ingenieurwesens“ – und das Problem nicht die Technik, sondern immer noch deren falsche und „skrupellose“ Anwendung, etwa in der Waffentechnik. Wieners Plädoyer: Demokratie statt „Glücks­anzüge“: „Über die Möglichkeiten der Computerentwicklung sollte ein staatliches Gremium entscheiden, dass das Vertrauen aller genießt.“

Mi 19. 6., 19 Uhr, Kunstverein Hannover