Abschiebungen nach Somalia: Zurück ins Bürgerkriegsland

Derzeit versuchen deutsche Behörden, Reisedokumente für 200 Menschen aus Somalia zu beschaffen. Dort wütet die islamistische Terrormiliz al-Shabaab.

Sicherheitskräfte und Zivilisten stehen neben einem ausgebrannten Autowrack

Mitte Juni explodierte in Mogadischu eine Autobombe. In Somalia herrscht teilweise Bürgerkrieg Foto: dpa

Menschen in das Bürgerkriegsland Somalia abzuschieben ist für die Bundesregierung und die Länder kein Tabu mehr. In dieser Woche werden nach Angaben des Regierungspräsidiums Kassel 200 abgelehnte somalische Asylbewerber aus mindestens fünf verschiedenen Bundesländern in der Kasseler Ausländerbehörde somalischen Diplomaten vorgeführt. Das Ziel: Die Feststellung ihrer Identität und die Ausstellung von Reisedokumenten.

Dem hessischen Flüchtlingsrat zufolge ist das mindestens die zweite sogenannte Botschaftsvorführung für Somalis. Ende 2018 soll es eine im brandenburgischen Eisenhüttenstadt gegeben haben. Nach Angaben einer Sprecherin von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gab es 2018 insgesamt sieben Abschiebungen in das Land, 2019 bisher vier. „Für Somalia gibt es keinen Abschiebestopp“, sagte Seehofers Sprecherin Lisa Häger der taz.

In Somalia herrschen Anarchie und Bürgerkrieg, eine Staatsgewalt gibt es praktisch nicht. Stattdessen wütet die islamistische Terrormiliz al-Shabaab, die willkürlich Kindersoldaten rekrutiert, Frauen vergewaltigt, Menschen foltert und Bomben legt. Verfolgungen durch die al-Shabaab gelten in Deutschland allerdings oft nicht als asylrelevant, weil die Terrormiliz keine staatliche Gruppe ist.

Viele Asylanträge von Somalis werden darum trotz Verfolgung abgelehnt und die Menschen zur freiwilligen Ausreise aufgefordert. Wenn das Geordnete-Rückkehr-Gesetz in Kraft tritt, können abgelehnte somalische Asylsuchende mit Sozialhilfestreichungen zur „freiwilligen“ Ausreise genötigt werden.

Keine Familienzusammenführung

Das Absurde: Deutsche Behörden sowie die Behörden mehrerer anderer EU-Staaten erkennen somalische Dokumente normalerweise nicht an. „Personenstandsdokumente der Republik Somalia“ seien wegen des „Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung in Somalia“ nicht geeignet, Identität und Staatsangehörigkeit nachzuweisen, heißt es in einem Rundschreiben des Bundesinnenministeriums von 2017, das der taz vorliegt.

Für Anträge auf Familienzusammenführung werden somalische Dokumente darum nicht anerkannt. Für freiwillige Ausreisen und Abschiebungen jedoch sollen die Betroffenen Dokumente besorgen.

Nicht nachvollziehbar ist zudem, dass auch mehrere Bürger aus den von Somalia abgespaltenen und international nicht anerkannten Landesteilen Somaliland und Puntland der somalischen Botschaft vorgeführt und nach Somalia abgeschoben werden. Somalia hat keinerlei Möglichkeit, die Identitäten dieser Menschen zu prüfen.

„Skrupellose Asylentscheider“

Häger bestätigte Abschiebungen von Bürgern „des zu Somalia gehörenden Somaliland“ nach Somalia. Das Regierungspräsidium Kassel bestätigte der taz diese Vorführungen von Bürgern der beiden abgespalteten Landesteile bei der somalischen Botschaft. Das Auswärtige Amt äußert sich nicht zu der Frage, ob die somalische Auslandsvertretung für diese Menschen zuständig ist.

Die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke kritisierte den Umgang mit somalischen Flüchtlingen. „Schutzsuchende aus diesem Bürgerkriegsland erhalten immer wieder Ablehnungen aus den absurdesten Gründen. Selbst die drohende Ermordung durch dschihadistische Milizen scheint manchen skrupellosen Asylentscheidern nicht auszureichen, um einen Aufenthalt zu rechtfertigen“, sagte sie. Offensichtlich würden „politische Vorgaben vollstreckt, um die Ablehnungsquoten in die Höhe zu treiben“.

Die Botschaftsführungen wie sie diese Woche stattfinden seien eine Maßnahme, um „Schutzsuchende in Angst und Schrecken zu versetzen und sie in die Resignation zu treiben“, sagte Jelp­ke. Der hessische Flüchtlingsrat und ein somalischer Verein wollen Begleitungen der Flüchtlinge bei den Botschaftsvorführungen organisieren, um den Behörden „sehr genau auf die Finger zu schauen“, sagte der Kassler Flüchtlingshelfer Thomas Aleschewsky der taz.

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