Kolumne Knapp überm Boulevard: Der Post-Ibiza-Exorzismus

Österreichs Interrimsregierung soll zum einen Seriösitat demonstrieren – und sie soll das Land von den Strache-Dämonen erlösen.

Mann mit aufgerissenen, feuchten Augen. Nahaufnahm von Heinz-Chrsitian Strache

Für bsoffene Gschichtn bekannt: HC Strache Foto: dpa

Eine Expertenregierung stellt für Österreich ein Novum dar. Eine Neuigkeit, über deren Besonderheit man sich erst verständigen muss. Dazu muss man noch einmal auf die Gründe zurückkommen, wie es überhaupt dazu gekommen ist.

Nach einem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen die Regierung Kurz sollte mit dieser Übergangsregierung ein Machtvakuum abgewehrt werden. Dies ist also ein geregeltes Interregnum. Was wäre eigentlich das Bedrohliche an einem ungeregelten Interregnum gewesen?

Bundespräsident Van der Bellen hat das den Österreichern so erklärt: Es könnte doch sein, dass der Wirtschaftsminister eines anderen Landes eine dringende Information benötige – und niemand hebt das Telefon ab. Das geht nicht! Dieses Beispiel ist zwar anschaulich, überzeugt aber nicht wirklich. Zielt es doch gerade auf das Funktionieren der Bürokratie – und dieses Funktionieren stand und steht ja in keinem Moment in Frage.

Die Kafka-geeichten Österreicher wissen natürlich, dass Bürokratien auch heißlaufen, dass sie auch totalitär werden können. Aber auch das hat nicht wirklich gedroht – weder einer Unterfunktion noch einer Überfunktion (oder einem Ausfall) der Verwaltung des Landes musste entgegengetreten werden.

Es braucht Autorität

Die tatsächliche Bedrohung war und ist jene eines gestörten Vertrauensverhältnisses. Post-Ibiza, also nach Bekanntwerden des legendären Videos, drohte ein massiver Vertrauensverlust in die politische Ordnung. Deshalb brauchte es eine Regierung, die genau das verhindert. Das zeigt zum einen, wie tief die Erschütterung durch das Video ist. Und es zeigt zum anderen, wie sehr diese Ordnung offenbar befestigt werden muss.

Interessant aber ist, dass eine funktionierende Verwaltung allein dazu nicht ausreicht. Es braucht offenbar eine solche Verwaltung und etwas anderes – nämlich Autorität. Es braucht also eine Person, die das, was ohnehin funktioniert, übernimmt, garantiert, verantwortet. Eine Person, der das Handeln der Institutionen zugeschrieben werden kann.

Wenn nun gesagt wird – bis zur kommenden Nationalratswahl im September werde nur verwaltet, aber nicht gestaltet. Wenn nun gesagt wird, dies sei eine Expertenregierung, die rein auf Fachwissen beruhe. Eine Vernunfts­autorität, die nur dem Gemeinwohl verpflichtet sei, ein Nullpunkt des Politischen gewissermaßen – dann stimmt das so nicht. Denn der Mythos des reinen Verwaltens unterschlägt etwas.

Garanten von Seriosität

Bei den Experten, die jetzt die Regierung bilden, geht es nicht einfach um Fachwissen, sondern um Wissen gepaart mit Seriosität. Mehr noch: Es geht um Wissen als Garanten von Seriosität. Es geht um Expertentum als Inbegriff von Integrität. Als Verkörperung moralischer Prinzipien. Als Versicherung gegen das, was durch Ibiza aufgebrochen ist. Als Bollwerk gegen die tiefe Korruptheit, die das Video sichtbar gemacht hat. Darin besteht die Autorität dieser Regierung.

Diese verwaltet nicht einfach, sondern indem sie verwaltet erfüllt sie eine symbolische Aufgabe: die Befestigung der politischen Ordnung. Dazu wird jetzt alles an Beamtentugenden aufgeboten. Die gesamte Palette: Erfahrenheit – Anstand – gutes Benehmen – höchste Qualität – Loyalität – Gewissenhaftigkeit. Erweitert um die Verhaltensregeln, die die neue Bundeskanzlerin ausgegeben hat: Zurückhaltung, Bescheidenheit und Freundlichkeit.

Kurzum – was jetzt aufgefahren wird, ist ein Überschuss an Seriosität. Um die Demokratie als sittliche Ordnung, um Österreich als Tugendstaat zu behaupten. (Die Frage bleibt offen, was solch eine geballte Ladung an Anstand tatsächlich bei der Bevölkerung auslöst?)

Eine Überdosis an Seriosität soll also das abwehren, was Ibiza sichtbar gemacht hat. Offenbar vermag nur eine hehre Beamtenschaft jenes Gegenbild herzustellen, welches es jetzt braucht. Es geht also nicht einfach nur um Expertentum – sondern auch um Exorzismus. Beziehungsweise dient das eine dem anderen: Diese Expertenregierung ist ein großes Exorzismus-Unterfangen, das die Ibiza-Dämonen austreiben soll.

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