Rammstein-Konzert in Berlin: Porno, Pyro und viel Piff-Paff

Stadionrock vor kontaminierter Kulisse: Rammstein gastieren am Samstag vor 70.000 Zuschauern im ausverkauften Berliner Olympiastadion.

Ein geschminkter Mann mit Glatze, leicht umhüllt in Rauch, auf einer Bühne

Game of Thrones Ambiente: Rammstein-Sänger Lindemann am Samstag in Berlin Foto: Christian Thiel

Die Flammen sind wieder runtergedimmt, der Rauch, der das Olympiastadion kurz in eine Kokerei verwandelt, hat sich verzogen, da lassen uns Rammstein noch ein letztes Bild dieses Konzertabends da. Ein Sinnbild. Till Lindemann steht vor einem schwenkbaren Riesenphallus, er singt vom „Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr“, steckt mittels Songzeile „Bratwurst in dein Sauerkraut“, ehe er die Rakete zwischen seinen Beinen anschmeißt und weißes Konfetti in die Menge bläst. Pam-pam!

Der Song „Pussy“ (2009), den die Band zur zweiten Zugabe spielt, führt noch mal vor Augen, worum es bei einem Rammstein-Konzert im Kern geht (was man angesichts all ihrer geglückten Provokationen manchmal vergisst): um Trashkultur. Um Porno, Pyro und Piff-Paff. Wie nicht anders zu erwarten, hatte die Band zuvor während zweieinviertel Stunden mit Flammenwerfern das Stadion abgefackelt. Na ja, beinahe.

Rammstein spielen am Samstagabend also erstmals ein Stadionkonzert in ihrer Heimatstadt, sie stellen ihr neues siebtes Album vor. 70.000 Besucher_innen sind gekommen, ausverkauft, eh klar. Dass das Konzert an diesem kontaminierten Ort stattfindet, ist mehr als eine Fußnote.

Provokation mit Riefenstahl

Zum einen haben Rammstein, die seit jeher sehr frei mit der deutschen Geschichte jonglieren, einst für ihr Video zum Depeche-Mode-Coversong „Stripped“ (1998) das an diesem Ort entstandene Material aus Leni Riefenstahls Propagandafilm „Olympia – Fest der Völker“ verwendet – erst kürzlich haben sie den Clip erneut veröffentlicht. Auf dem Cover eines Rammstein-Bildbands posierten sie dagegen im Säulengang des Stadions. Und nun kommen sie eben mit neuen Songs wie „Deutschland“ hierher, der erneut auf den NS rekurriert und als Massenkultur live dargeboten noch mal ganz andere Effekte erzeugen kann als aus der Konserve. Geht das gut?

Erst mal verzichten Rammstein auf weitere Referenzspiele mit diesem Ort, sie spielen ihre Stadionshow runter wie in den bisherigen sieben Stationen der Tour auch. Natürlich ist alles gigantisch, Türme von schwarzen Lautsprecherboxen und Lichtstrahlern sind vor dem Marathontor aufgebaut, Nebelmaschinen und ein paar Requisiten wie ein Stahlkessel und ein überdimensionierter Kinderwagen gehören zur Show. Zu ihrem Hit „Engel“ (1997) wechseln die sechs Bandmitglieder den Ort und tauchen auf einem Podest inmitten der Masse auf. Das Stück spielen sie dann nur mit Klavier und a cappella, das ganze Stadion singt mit.

Die Musik ist, bis auf wenige Ausnahmen, eigentlich das am wenigsten An- und Aufregende. Rammstein klingen wie unzählige andere Extreme-Metal-Bands, schrubben ihre Riffs runter; immerhin ballern Stücke wie „Links 2-3-4“ (2001), „Mein Herz brennt“ (2001) oder „Puppe“ vom aktuellen Album dank der Anlage ganz gut – zumindest im vorderen Stadiondrittel.

Gigantische Türme aus schwarzen Lautsprecherboxen und Lichtstrahlern

Kurzzeitig musikalisch interessant

Musikalisch interessant wird es kurzzeitig, als sie mit einer technoiden Remix-Version von „Deutschland“ überleiten zur Single-Version dieses Stücks. Da stehen vier Bandmitglieder akkurat aufgereiht, mit Vocoder-Stimme singen sie „Deutschland“, ihre dunklen Overalls sind mit Schwarzlichtstreifen versehen, sodass sie so aussehen wie tanzende Strichmännchen oder tanzende Skelette. Eine offensichtliche Kraftwerk-Hommage.

Wie oft bei Rammstein lässt einen der Song „Deutschland“ an sich mit ambivalenten Gefühlen zurück. Das Stück und auch das blockbustermäßig inszenierte Video sind einigermaßen eindeutig antifaschistisch kodiert, („Deutschland, meine Liebe kann ich dir nicht geben“) – aber in den Refrain des Stückes eine Naziparole einzubauen („Deutschland, Deutschland über allen“) gehört eben auch zu diesem Konzept.

Der Großteil der Fans singt diese Zeile nun also genauso inbrünstig mit wie alle anderen, und im Olympiastadion wirken diese Verse natürlich, nun ja, schon seltsam. Wobei man sagen muss, dass Rammstein da eher in einer Tradition von Bands wie DAF stehen, auch da war das Spiel mit den Parolen Teil einer Ästhetik, die ganz sicher nicht „rechts“ kodiert war („Der Mussolini“, „Kebabträume“).

Mal deutsch, mal undeutsch

Aber die Idee, Kunst müsse pädagogisch, moralisch sowieso sein, ist vielleicht auch wieder sehr deutsch – und in dieser Hinsicht wären Rammstein dann ausnahmsweise eher undeutsch. Zumal der Großteil der Fans die Band ohnehin besser versteht, als die Öffentlichkeit dies annimmt. Es sind normale Metalheads, die herkommen, aber auch sehr poshes, internationales Publikum, und in den Reihen sieht man mehr antifaschistische T-Shirt-Motive (etwa Feine Sahne Fischfilet), als dass man Verdächtiges mit altdeutscher Schrift erspähen würde. Es besuchen übrigens auch kaum weniger Frauen als Männer dieses Rammstein-Konzert.

Faszinierend, zumindest als Gesamtkunstwerk, bleiben Rammstein auch im Jahr 2019. Collageartig deklinieren sie mal so gut wie alle deutschen Kulturtraditionen, inklusive der übelsten, durch: Wagner, Romantik, Schlager, Ballermann, Euro­trash, Marschmusik, Krautrock. In diesem Sinne sind sie eben die Megastars, die dieses Land verdient. Und überdies eine infantile, aber gute Zirkusnummer, genitale Dilettanten. Der Konzertabend endet übrigens mit dem – extrem gut platzierten – Stück „Ich will“, unter anderem mit den Zeilen: „Wir wollen, dass ihr uns vertraut/ Wir wollen, dass ihr uns alles glaubt/Wir wollen eure Hände sehen/ Wir wollen in Beifall untergehen“. Es kommt ein letzter Knall und der Spuk ist vorbei.

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