Eine Straße wandelt sich

Das Bergmannstraßenfest findet seit 25 Jahren statt. Ausgerechnet zum Jubiläum wird es nächstes Wochenende nicht in der Bergmannstraße gefeiert. Die „Parklets“ sind schuld

Als in der Bergmannstraße noch alles ganz anders als heute war: Archivaufnahme aus dem Jahre 1979 Foto: Paul Glaser

Von Claudius Prößer

Meist ist es ja ganz einleuchtend: Wer aufs Bierfestival in der Karl-Marx-Allee in Friedrichshain geht, wird genau dort vergorenen Gerstensud finden. Die Potsdamer Schlössernacht bietet nächtliche Schlösser in Potsdam. Komisch ist es beim Bergmannstraßenfest vom 28. bis zum 30. Juni, Untertitel „Kreuzberg jazzt“. Erstens kann man da HipHop, Dub oder Salsa hören, zweitens in der Kreuzbergstraße. Das ist etwas verwirrend.

Erklären lässt sich es natürlich. Was die Musikauswahl angeht, startete das Event 1994 als „Internationales Jazzfest Kreuzberg“ (oder so ähnlich, die Quellenlage ist unübersichtlich). Im Gegensatz zum großen Jazzfest, das von den Berliner Festspielen seit den 1960er-Jahren jeden Herbst ausgerichtet wird, groovten hier keine MusikerInnen aus der Liga von Ornette Coleman oder Albert Mangelsdorff, sondern hauptsächlich Berliner Eigengewächse. Was der guten Stimmung keinen Abbruch tat.

Mit den Jahren diversifizierte sich das Fest zusehends; zu Dixieland, New Orleans und Blues kamen Rock und Fusion, Afrobeats, Reggae oder orientalische Klänge. „Klar, Puristen werden sagen: Das ist doch kein Jazz!“, sagt Manne Pokrandt, künstlerischer Leiter des Festes. „Es ist aber für jeden was dabei, außer den ganz harten Spielarten – Metal gibt’s bei uns nicht.“

Bergmannstraßenfest Am Freitag, dem 28. Juni, startet um 16 Uhr das Bergmannstraßenfest in der Kreuzbergstraße: Musik wird auf den großen Bühnen am Mehringdamm und der Katzbachstraße sowie der Bühne in der Möckernstraße gespielt. Theater gibt es auf der vierten Bühne in der Großbeerenstraße. Am Sonntag um 22 Uhr ist Schluss. Wer sich schon mal einstimmen will, findet unter youtube.kreuzberg-festival.de eine Playlist.

Gespeist werden kann nicht nur an den üblichen Ständen, sondern auch im Spitzenkoch-Zelt „Kreuzberg kocht“ unweit der Katzbachstraßen-Bühne. (clp)

Besonders freut sich Pokrandt in diesem Jahr auf Besucher aus England, den USA und Australien: Die Rock-’n’-Groove-Gitarrenband Wille & The Bandits aus Cornwall, macht laut Programm Anleihen bei Led Zeppelin und Pink Floyd, die Honey Island Swamp Band bringt Bluesrock aus New Orleans mit, und der Pianist Pugsley Buzzard, eine (ebenfalls laut Programm) Mischung aus Doctor John und Tom Waits, macht gemeinsame Sache mit dem Berliner Schlagzeuger Micha Maass. Auf der Bühne an der Möckernstraße – einer von vieren – stehen vor allem Newcomer, die zum Teil gar nichts mit Jazz verbindet: etwa RapperInnen wie Lena Stöhrfaktor oder der iranischstämmige Transgender-Aktivist Säye Skye.

Dass das nach einem Vierteljahrhundert fest in der Bergmannstraße verankerte und folgerichtig nach ihr benannte Fest nun in deren westliche Verlängerung, die Kreuzbergstraße, umzieht, hat sich erst in den vergangenen Monaten ergeben. Dass einige der altgedienten OrganisatorInnen, allen voran „Yorckschlösschen“-Betreiber Olaf Dähmlow, nach so vielen Jahren den Staffelstab abgeben wollten und sich ein neuer Verein gründete, ist dabei nur ein Nebenaspekt.

Das Problem: Auf den Seitenstreifen der Bergmannstraße stehen seit vergangenem Herbst Module aus gelb lackiertem Blech und Holz, sogenannte Parklets, die durch Rampen als Querungshilfen und ebenfalls auf der Fahrbahn montierte Fahrradständer ergänzt werden. Die „Begegnungszone Bergmannstraße“, vom grünen Stadtrat Florian Schmidt und der Senatsverkehrsverwaltung gegen viele AnwohnerInnen und Gewerbetreibende, aber auch gegen eine breite Front in der Bezirksverordnetenversammlung durchgesetzt, wird zwar im Sommer besser angenommen als befürchtet (oder erhofft), ausgerechnet dem Straßenfest steht sie jedoch im Weg: Das braucht die Flächen für die vielen Stände, die Crepes und Burger, T-Shirts oder Hüte feilbieten und mit ihrer Miete die nicht subventionierte Veranstaltung gegenfinanzieren.

Erstens kann man HipHop oder Salsa hören, zweitens in der Kreuzbergstraße. Das ist etwas verwirrend

Michael Spenner vom Schreibwaren-, Bilderrahmen- und Kuriositätenladen Ararat in der Bergmannstraße, der seit Jahren den Protest gegen die Begegnungszone mitorganisiert, schmerzt der Verlust des Festes. Es sei „ein Hohn, weiterhin von einem Bergmannstraßenfest zu reden“, findet Spenner und fürchtet, dass Musik und Menschen auch im kommenden Jahr nicht an ihren angestammten Ort zurückkehren: „Fahrradbügel, Poller und andere Elemente sind keineswegs mobil, wie angedacht, sondern fest einbetoniert!“ Ararat und andere Läden wollen während des gesamten Festes öffnen, um dem Bergmannkiez die Stange zu halten.

Für den künstlerischen Leiter Pokrandt ist das Wichtigste, dass es überhaupt weitergeht, „mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch 2020“. Wo, das wisse man jetzt halt noch nicht, sagt der Musiker und Tontechniker, der bislang für den Sound zuständig war. In jedem Fall werde die Kreuzbergstraße am Rand des Viktoriaparks Aufenthaltsqualität haben: „Wir schaffen unsere eigene Begegnungszone, in dem wir zusammen Bier trinken und Musik hören. In diesen Parklets sitzt ja doch niemand.“