Das Saunen mit Jericho

Das 20. Poesiefestival in der Akademie der Künste am Hanseatenweg gewinnt mit Formaten wie dem „Versschmuggel“, insgesamt könnte es aber weniger umfangreich, also konzentrierter aufgestellt sein

Gruppenbild mit Damen: das 20. Poesiefestival und seine TeilnehmerInnen Foto: Mirko Lux

Von René Hamann

Es ist heiß dieser Tage. Es ist oft heiß, wenn das Poesiefestival in Berlin stattfindet, das hat sich nämlich im vollen Kulturkalender für den Frühsommer entschieden, und so sitzt man meistens im Schatten der Akademie am Hanseatenweg bei einem überteuerten Glas Wasser zwischen den mau bis gut besuchten Veranstaltungen, die meist am frühen Nachmittag, am Sonntag gern auch mal früher, stattfinden, und denkt über die vergangenen Sommer nach, die man mit oder ohne Poesiefestival in Berlin zugebracht hat über die Jahre. Ein wenig denkt man über Dichtung nach, über den großen Vorteil dieser Veranstaltung, den nämlich, dass sie international angelegt ist, weshalb man auch als Poesiekenner immer wieder was zu entdecken hat und sogar immer wieder was von Qualität, während das mit der heimischen Poesie öfter mal so eine Sache ist, denn diese kommt vergleichsweise gern gestelzt, verquast, akademisch, gewollt unverständlich, hüftsteif, altbacken und sehr oft sehr weltabgewandt daher, wobei man sich auch hier immer wieder über Ausnahmen von dieser Regel freuen kann.

Die amerikanische Lyrik ist der deutschsprachigen meist um mehrere Komponenten voraus. Könnte an der Sprache an sich liegen, ist man geneigt zu denken, bevor man erkennt, dass es eher um Gewohnheiten geht, um Textklischees, die sich über Schulen und Antischulen eingeschliffen haben. Die amerikanische Poesie ist, so will es eben nicht nur das Klischee, dichter am Erzählerischen, klarer, pointierter, verständnisorientierter.

Sechs Paare und sechs Übersetzungen

Schön, dass das diesjährige Poesiefestival, das am heutigen Freitag schon wieder Geschichte ist, feste Formate bietet, die Einblick gewähren; besonders schön, dass das bewährte Format „Versschmuggel“ – Dichtende aus meist zwei verschiedenen Sprachen werden zwecks gegenseitiger Übersetzung aufeinander losgelassen – 2019 den Austausch zwischen eben deutschen und amerikanischen Lyrik im Programm hatte.

Und so konnte man denn am lauen Dienstagabend sechs Paaren und ihren Übersetzungen lauschen, frisch aus der „Sauna der Poesie“, wie die patente und witzige Moderatorin Karolina Golimowska sagte, oder aus den klimatisierten Hotellobbys, in denen sie zusammen gearbeitet hatten. Brenda Shaughnessy und Anja Kampmann, Sandra Meek und Yevgeniy Breyger, Linda Gregorson und Ulrich Koch boten auch mal Zeilen mit der seltsamen Formel von „dünnhäutigem Wasser“. Und tatsächlich: Was hier witzig war (das Amerikanische), hatte dort oft etwas Getragenes (das Deutsche), das machte sich schon am Tonfall der jeweiligen Vortragenden bemerkbar.

Aber es gab Ausnahmen. Georg Leß wehrte den coolen Angriff von Jericho Brown mit viel Kopfbewegung und Rhythmus gekonnt ab; Ronya Othmann, diesmal sehr damenhaft, und Mario Chard ergänzten sich gut in einer Walt-Whitman-nahen Natur-und-Kultur-Erkundung; und Dagmara Kraus bestach mitsamt des entzückend entrückten russischstämmigen Ilya Kaminsky durch skurrilen Humor und Charme. Ein gutes Format, dieser Versschmuggel, längst etabliert, immer wieder gern gehört, und nicht minder vielsagend wie der Eröffnungsabend, der „Weltklang“.

Auch andere Formate wie die neuere „Berliner Rede zur Poesie“, die schon in der Titelgebung allzu staatstragend daher kommt und diesmal vom Argentinier Sergio Raimondi über den falschen (nämlich dem pazifischen) Ozean geweht kam, haben sich gut ins Festivalschema eingepasst. Dass es im weiteren Programm etwas zu Nahost, zu allem, was queer ist, oder auch zu Digitalem gab, ist eher dem Zeitgeist geschuldet, was man natürlich auch gut finden kann. Insgesamt aber ächzt das bereits vor Jahren abgespeckte Festival immer noch unter seiner eigenen Üppigkeit, und, tja, auch dem Sommer.

Es kann, wie gesagt, schön sein, sich in den Pausen besinnlich in den Schatten zu setzen und dabei das leicht bekleidete Publikum zu mustern; ob sich Szene und Interessierte aber immer wieder gern auf den Weg ins obere Tiergarten machen, sei mal entschieden dahingestellt. Mehr Konzentration sei dem Ausrichter, dem „Haus für Poesie“, in der Zukunft zu wünschen und auch etwas mehr Mut zur Kühle. Wie auch immer die ausfällt.