berliner szenen
: Wird sukzessive abgebaut

Dr. Schmidt lächelte und sah auf seinen Bildschirm, der leicht schräg auf dem Schreibtisch stand, sodass ich ihn, also Dr. Schmidt, im Halbprofil betrachten konnte, akkurater Backenbart, von der morgendlichen Nassrasur leicht abgeschabte Haut. Ich überlegte, ob Alea und er miteinander verwandt waren, eine etwas alberne Überlegung in Anbetracht der Häufigkeit ihres Nachnamens. Rein äußerlich waren keine Gemeinsamkeiten zu erkennen.

Alea war eher der südliche Typ, helle Haut, dunkle Haare, der Inbegriff der Schönheit, während Dr. Schmidt der brandenburgische, leicht fahle Typ war, preußisch, steif, korrekt. Dabei irgendwie witzig, wie er und eine Korrektur seiner selbst in einer Person. Er sagte, die Physiotherapie, die schlage doch an? Ich hatte Übungen gelernt, die ich täglich praktizierte, ja. Ging ich durch die Stadt, machte ich eine Übung zur Lockerung des Schultergürtels: Beide Schultern kreisen bei hängenden Armen nach hinten. Es knackt dann in der Schulter links. Die Heilung verlief aber nicht so schnell wie gedacht, und mir gingen allmählich die Verordnungen aus. Keine Panik wegen der jüngsten Schmerz­welle, sagte Dr. Schmidt, da schaue nur ein neues Stückchen der alten Bandscheibe raus. Die würde sukzessive abgebaut, körperlich. Ich mochte ihn, den Neurologen, und ich liebte die Physiotherapie. Aber die Rundumbetreuung ließe zu wünschen übrig, sagte ich. Es sollte moderne Ärztehäuser geben, in jedem Stadtviertel drei, für Kinder, für Erwachsene, für Senioren. Im untersten Stockwerk die Allgemeinärzte, oben die Spezialisten. Es gäbe kurze Wege, Operationsräume und Übernachtungsmöglichkeiten. Die Bezahlung ginge unbürokratisch einfach vonstatten – Zahnärzte und Psychotherapeuten waren umsonst. René Hamann