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Riesige Kunstwundertüte

Hier ist Platz für ganz Großes: Die Nord-Art in Büdelsdorf bei Rendsburg zeigt zeitgenössische Kunst von rund 3.000 Kunstschaffenden auf 100.000 Quadratmetern. Im Mittelpunkt steht diesmal das Gastland Frankreich

Will die Grenze zwischen Normalität und Unheimlichem zurückweisen: Die Skulptur „Degree“ des mongolischen Künstlers Ochirbold Ayurzana Foto: Jörg Wohlfromm

Von Esther Geißlinger

Es fängt groß an: Der Turm zu Babel, dem bekannten Gemälde Pieter Bruegels des Älteren nachempfunden, aber dennoch leicht verfremdet und mit östlicher Architektur verschmolzen, erhebt sich im Zentrum der ersten Halle der diesjährigen Nord-Art-Ausstellung in Büdelsdorf bei Rendsburg. Über sieben Meter hoch ist die Holz- und Eisenkonstruktion des chinesischen Künstlers Xi Jianjun.

Wenige Meter entfernt in der ehemaligen Fabrikhalle steht, nein: liegt ein zweites Werk Xis, eine auf die Seite gekippte Gebäudekuppel mit dem knappen Titel „Parlamentsgebäude“. Seit vielen Jahren bilden die oft großformatigen Werke chinesischer KünstlerInnen einen Schwerpunkt der Nord-Art.

In diesem Jahr aber steht ein anderes Land im Mittelpunkt der Kunstschau: Frankreich. 171 Künstlerinnen – tatsächlich nur Frauen – zeigen einen Ausschnitt ihrer Werke im „französischen Pavillon“, einem der Räume im Hallenkomplex des „Kunstwerks Carlshütte“. Das Fabrikambiente der ehemaligen Eisengießerei mit ihren rauen Böden und kahlen Wänden macht einen Teil des Charmes der Nord-Art aus.

Die jährlich wechselnde Schau, die Werke von über 200 KünstlerInnen aus allen Teilen der Welt zeigt, zählt im 21. Jahr ihres Bestehens zu den größten Ausstellungen dieser Art in Europa: Rund 100.000 BesucherInnen finden jährlich den Weg zu ihr, teilen die AusstellungsmacherInnen mit. In diesem Jahr hatten sich rund 3.000 Kunstschaffende aus 102 Ländern beworben, unter denen Kurator Wolfgang Gramm, selbst Künstler, die Auswahl treffen musste. Dieses Interesse an einem Platz in den Hallen spricht dafür, dass Büdelsdorf inzwischen ein fester Punkt im Weltatlas der Ausstellungen geworden ist.

Auch Anne-Marie Descôtes, Botschafterin der Republik Frankreich in Deutschland, bedankte sich in ihrem Grußwort zur Ausstellungseröffnung artig dafür, „dass französische Künstlerinnen im Nord-Art-Pavillon glänzen und deutschen wie internationalen Besucher*innen den Reichtum und die Vielfalt ihrer Werke nahebringen“ dürften. Es gehe darum, „einen deutsch-französischen, europäischen und internationalen Dialog zu schaffen und durch den Austausch unser kulturelles Erbe zu leben und zu erneuern“. Die Werkschau der im Pavillon präsentierten Künstlerinnen bezeuge die Vielfalt und Dynamik der weiblichen Kunstszene in Frankreich, so die Botschafterin.

Bunt und spielerisch kommen viele Werke daher, etwa die Installation „Danse avec le cul“ – „Tanz mit dem Hintern“ – des Duos Aurélie Ferruel und Florentine Guédon, die seit 2010 zusammenarbeiten, quer durch die Bereiche Skulptur, Video, Installation und Performance, wie der Pressetext zur Ausstellung verrät. Im Pavillon stehen zwei hölzerne Puppen, bekleidet mit weiten Röcken und trachten-ähnlichen Hüten – eine „Mischung aus Identitätscodes, die Beziehung zur Tradition als Bindeglied der Generationen in Frage stellt“.

Ganz anders die Skulpturen von Marion Verboom, deren Keramik-Säulen mit ihren rauen Oberflächen an urzeitliche Steinstelen oder Gebäudemodelle erinnern. „Some of Us“, einige von uns, lautet der Titel, unter dem die Französinnen ausstellen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie jüngere Generationen vertreten, aber bereits erste Erfolge gefeiert haben.

Eine weitere Ausstellung in der Ausstellung widmet sich zeitgenössischer mongolischer Kunst: Da schweben „Expeditionsvögel“ aus Seide, Holz und Federn durch den Raum und die Künstlerin Algaa Bolormaa zeigt zarte Kohlezeichnungen, die „während des Schlafes ausgeführt“ wurden und an mongolisch-schamanische Wahrsagetraditionen anknüpfen.

Seit 1999 findet die Nord-Art in den Sommermonaten statt. Sie zählt zu den größten jährlichen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in Europa.

22.000 Quadratmeter umfasst das Ausstellungsgelände der ehemaligen Eisengießerei „Carlshütte“, 400 Quadratmeter in der ehemaligen Wagenremise.

Im Außengelände kommt dazu noch der große „Skulpturenpark“ mit 80.000 Quadratmetern, im Stadtgebiet sind weitere Skulpturen aufgestellt.

Sponsorin der Nord-Art ist neben Büdelsdorf und Rendsburg die ACO-Gruppe, Nachfolgerin der Eisengießerei Carlshütte.

Eine dritte Sonderschau zeigt einen Überblick über die „norddeutschen Realisten“, darunter Nikolaus Störtenbecker, Erhard Göttlicher, Meike Lipp, Tobias Duwe, Friedel Anderson, Frauke Gloyer und Brigitta Borchert.

Doch das „Kunstwerk Carlshütte“ ist vor allem eines: eine bunte Wundertüte, in dem Kunst­interessierte bei jedem Schritt etwas Neues entdecken können. Neben großformatigen Wandbildern stehen Skulpturen, die mit ihren roten Metallbeinen an Roboter erinnern. Hier ragt ein metallenes Auto auf, das auf Füßen statt auf Rädern steht, dort hängen menschliche Figuren wie Schlachtvieh oder Folteropfer, dort fliegen grell-rote Hirsche und eine Riesenschlange bäumt sich kurz vor dem Zuschnappen auf.

Malerei in Öl, Kohle oder Aquarellfarben hängt neben Collagen, in kleinen Räumen laufen Videoinstallationen. Klassische Steinmetzarbeiten stehen neben neuen Techniken, wie die auf dem 3-D-Drucker entstandene Venus des Prager Künstlers Michal Gabriel, die bereits im vergangenen Jahr zu sehen war. Weitere Werke finden sich im Skulpturenpark, der neben den Hallen liegt.

Als „Gesamtkunstwerk“ will Kurator Gramm die Schau sehen. Dazu passt, dass seit einigen Jahren auch die Musik ihren Platz in der Carlshütte gefunden hat. Neben den Proben des Festivalorchesters des Schleswig-Holstein-Musikfestivals gibt es einige Konzerte, bei denen Gäste auch die Ausstellung besichtigen können.

Bis 31. Oktober, Carlshütte, Vorwerksallee, Büdelsdorf, www.nordart.de