Das kommt
: Weißer Ring-Mitarbeiter vor Gericht

Anzügliche Bemerkungen, Berührungen, Anmache – es war eine lange Liste von Vorwürfen, die im vergangenen Spätsommer und Herbst zunächst in den Lübecker Nachrichten und im Spiegel veröffentlicht wurden. Gerede hatte es laut Berichten schon vorher in Lübeck gegeben. Auch bei Frauenberatungsstellen und bei der Polizei waren Gerüchte über das Verhalten des Mannes im Umlauf – passiert war aber nie etwas. Zwar hatte die Frauenberatungsstelle bereits 2012 ein internes „konfrontatives Gespräch“ geführt, konnte aber nicht an die Öffentlichkeit gehen, da die betroffenen Frauen das nicht wollten.

Der Weißer-Ring-Mitarbeiter, der vor seinem ehrenamtlichen Job in der Beratungsstelle Polizist gewesen war, hatte nach den Berichten der Frauen ausgenutzt, dass die Beratungsgespräche in der Regel im privaten Umfeld, etwa in den Wohnungen der Opfer, im Auto des Mitarbeiters oder in Lokalen stattfanden. Genau das scheint heute auch das Problem des Gerichts zu sein: Für viele der Übergriffe scheint es nicht genug Beweise zu geben. Andere sind verjährt.

Daher blieb von den zahlreichen Vorwürfen nur der eine übrig, der nunangeklagt werden soll: Es geht um einen Fall, in dem der Beschuldigte während einer Beratung blank gezogen und der Frau seinen Penis gezeigt haben soll. Verhandelt wird vor dem Amtsgericht, nachdem sich anfänglich das Landgericht mit dem Fall befassen sollte. Der Prozessbeginn hatte sich verzögert, weil die Frau, die als Hauptbelastungszeugin auftritt, inzwischen im Ausland lebt und zunächst nicht zu erreichen war, berichten die Lübecker Nachrichten.

Egal, wie das Verfahren ausgeht: Der Vorfall hat den Weißen Ring insgesamt getroffen und verändert. Der Verein, der bundesweit in seinen lokalen Beratungsstellen Opfer von Verbrechen berät und begleitet, hat im vergangenen Jahr eine Beschwerdestelle eingerichtet und neue Regeln beschlossen. Unter anderem sollen weibliche Opfer künftig nach Möglichkeit von Frauen beraten werden. Zudem soll ein Sechs-Augen-Prinzip gelten: Entweder lässt sich das Opfer bei der Beratung von einer Vertrauensperson begleiten, oder zwei MitarbeiterInnen des Weißen Rings führen das Gespräch. Esther Geißlinger