Ein Gruß von der Wand

Architekt Roy Fabian will den Domshof zum Sprechen bringen. Performativ haben seine Studierenden schon mal angefangen

Wie es dir geht, hat er gefragt: Studierende der Hochschule für Künste schwenken Flaggen auf dem Domshof Foto: Roy Fabian

Von Jens Fischer

Die Bühne ist ein 8.100 Quadratmeter großer Platz im postdramatischen Licht eines hinwegziehenden Gewitters. Vormittagsalltag mitten in Bremen. Nicht quirlig urbanes Leben kitzelt die Sinne, eher olfaktorische Reize werden zum Ereignis. Würzige Olivenaromen schwirren umher, süßlicher Erdbeerduft durchwirbelt kräftige Käseausdünstungen, bis frischer Fisch das flüchtige Bouquet aufmischt. Ein gutes Dutzend Marktstände sind in lockerer Schüttung auf dem Domshof platziert. Hier wird schnell ein frugales Mittagessen eingekauft, dort einfach nur vorübergehuscht. Touristengruppen plappern dem Roland entgegen, Individualreisende suchen ihn auf ihrem Handy. Dem Domshof schenkt kaum jemand Aufmerksamkeit. Er ist kein Ort zum Verweilen, sondern einer des Übergangs. Nur Neptun verharrt stoisch, lässt sich tagein, tagaus vom Brunnenwasser umspielen.

Schlag 11 Uhr intervenieren 16 Architektur-Studierende der Hochschule Bremen, indem sie die martialischen Gebäudefronten dezent animieren: also die nicht genutzten Balkone der Deutschen und der ehemaligen Bremer Bank sowie der Brasserie betreten. Auch ein Podest auf dem Pflaster ist besetzt. Und los geht es: zackiges Wedeln mit Sig­nalflaggen. „Protestieren die oder ist das Kunst?“, fragt ein Flaneur. Als „non-verbale Live-Performance“ definiert Mitorganisatorin Susanne von Essen (Sternkultur) den stillen Weckruf für den Platz. „Wir wollen den erst mal gar nicht verändern, sondern Kommunikation gestalten mit den Zeichen des Winkeralphabets der Seeleute“, erzählen zur Erklärung aufgestellte Kommilitoninnen der Winker.

Fünf Sätze wurden eingeübt, die nun rauf und runter gewunken werden. Es sind Fragen an die Passanten: „Wohin gehst du?“ „Wie geht es dir?“ Nur versteht halt niemand der kurz innehaltenden Domshofnutzer diese optisch übermittelten Sätze. Aus Unverständnis wird dann schnell Dooffinden. Aber hinter dieser Aktion steckt doch sicherlich eine kluge Idee? Fragen wir den Initiator, den israelischen Architekten Roy Fabian. Die Fassaden des Domshofs sind sein Thema. „Groß, stark, unnahbar, bedrohlich wirken sie, stumm sind sie und kreieren so den Raum dazwischen – einen wenig einladenden Platz.“

Schweigende Fassaden? Sie erzählen durch ihre Gestaltung doch etwas über ihre Geschichte und Bauherren, behaupten Macht, Stärke, Kunstsinnigkeit, Solidität der dahinter werkelnden Institutionen. „Das stimmt“, sagt Fabian, „aber sie öffnen sich nicht zum Platz, sondern grenzen sich und ihn ab.“ Das sollen die Winker konterkarieren und Menschen in Kontakt bringen. Wenn auch erst mal nur in einer Fremdsprache. Als nächsten Schritt zur Humanisierung des Platzes würde Fabian gern Musiker auf den Balkonen miteinander konzertieren lassen.

Wer die konzeptionellen Hintergründe verstehen will, hätte beispielsweise das Seminar zur Performance besuchen können, das Städtebauprofessor Klaus Schäfer „Horror vacui“ überschrieben hat – die Angst vor der Leere, dem leeren Raum. Seine These: „Die Stadtgesellschaft hat den Umgang mit dem offenen, zugänglichen und verfügbaren öffentlichen Raum verlernt“ – verstehe es also nicht mehr, ihn als einen Raum der Vermittlung, Verbindung, des Aufenthalts, der Repräsentation und Kommunikation zu nutzen, als eine Art Kreuzung all dieser Interessen. Nicht nur Städte, auch Plätze würden heute für verschiedene Funktionen separiert.

Die Botschaften sind freundlich, aber unverständlich. Und aus Unverständnis wird schnell Dooffinden.

Auf dem Domshof gibt es beispielsweise die Fahrradrennstrecke, eine Zufahrt der Tiefgarage, den Markt, die Häuser, aber eben keine Durchmischung stadtkultureller Nutzungen. Für so einen Vitalitätsschub hatten Anrainer, Politiker und der Großmarkt immer wieder mal Baumpflanzungen, Lichtinstallationen, Wasserspiele, Veranstaltungen, Open-Air-Gas­tronomie und neue Möblierung angedacht, tatsächlich auch die eine und andere Palme aufgestellt und eine Urban-Gardening-Ecke eingerichtet. Gerade ist sogar eine kleine Bühne entstanden. Aber der Platz sei nach wie vor „underused“, wie Fabian sagt.

Die lautlose Ansprache seiner Studierenden sieht er als Anfang, lauthals weiter darüber zu reden. Denn es handelt sich auch um die Pilotveranstaltung des interdisziplinären Kunstprojekts „Haimen“, das Bremens Städtepartnerschaft mit dem israelischen Haifa als „sozialgeografisches und urbanes Labor“ aufleben lassen will, wie Susanne von Essen sagt.

Über vier Jahre soll „die Verschmelzung von Gemeinsamkeiten und Gegensätzen der beiden Städte“ zu einer Mental Map gelingen. Klingt toll. Was heißt das konkret? „Vor allem Kultur- und Künstleraustausch.“ Im Spätsommer werde auf dem Domshof ein Grund- als Gedenkstein eingelassen, so von Essen. Für nächstes Jahr plant ihr Team ein dreitägiges Fest. Die Anbieter der Markthalle 8 sollen die Menschen auf dem Domshof verköstigen, während in der Halle ein deutsch-israelischer Kunsthandwerkermarkt stattfindet. Flankiert von Konzerten, Theater und vielleicht auch Stadtplanern in einem Thinktank. Anschließend werde „groß gedacht“ – Haimen als interaktive Website, Stadtplan-App, Film, virtuelles Kulturzentrum, utopischer Ort und so weiter. Schauen wir mal …