heute in bremen
: „Jelinek sagt, rechtes Denken steckt in uns“

Foto: Rachel Israela

Marco Štorman, 38, Theaterregisseur, inszeniert nach „Lulwu“ nun „Das schweigende Mädchen“ am Theater Bremen.

Interview Lotta Drügemöller

taz: Herr Štorman, Sie inszenieren Jelineks „Das schweigende Mädchen“ über den NSU-Prozess. Braucht es Lust an der Herausforderung, um sich dafür zu entscheiden?

Marco Štorman: Lust an der Unmöglichkeit, vielleicht. Jelinek ist die wichtigste Stimme unserer Zeit für das Theater, eine, die Haltung einnimmt. Und das Thema macht mich fassungslos: Nach dem Aufschrei, als rauskam, dass unser ganzes System durchsetzt ist von rechten Strukturen, ist die Aufmerksamkeit im NSU-Prozess schließlich einfach versandet. Das Urteil wirkte, als gäbe es das Bedürfnis, endlich eine Schublade zu schließen – obwohl keine einzige Frage beantwortet ist. Das Theater hat die Pflicht, da wach zu halten.

Mussten Sie das Stück von 2014 jetzt, nach Urteilsverkündung, anpassen?

Aus diesen 279 Seiten Text, diesem Wust an Material, muss man sich eh die eigene Perspektive raussuchen. Was während des Prozesses Beate Zschäpe, das schweigende Mädchen, war, ist jetzt vielleicht die schweigende Gesellschaft. Aber das Stück ist ohnehin viel größer als der Prozess. In allem Nichtverstehen gibt Jelinek Opfern wie Tätern eine Stimme, formt daraus ein Wir. Diese große Provokation ist zeitlos.

Zugleich ist es mit seinen Prozessakten sehr konkret in der Gegenwart verankert.

Premiere: „Das schweigende Mädchen“ von Elfriede Jelinek, Kleines Haus, Theater Bremen, um 20 Uhr, Einführung ab 19.30 Uhr

Ja, das ist aufregend und gefährlich. Man kann vieles nur falsch machen: Darf man rechten Gedanken, rechter Sprache eine Bühne geben? Denn Jelinek versucht zu erklappern, was die denken und vor allem, warum eine Gesellschaft das zulässt. Zu sagen, „ich bin nicht rechts“, reicht nicht aus. Jelinek geht so weit zu sagen: Das kann alles nur möglich sein, weil es in uns steckt. Das ist hart und konfrontiert mit vielem, was man nicht wahr haben will.

Das Stück gilt als extrem sprachlastig, bei der Uraufführung 2014 stand der Text fast ganz für sich. Wie gehen Sie mit der Flut an Wörtern um?

Wir nutzen nicht nur das Erzählmittel Text, sondern eine Gleichzeitigkeit von theatralen Elementen. Es passiert etwas, es gibt einen Musiker, wir stellen über Video Assoziations- und Kunstwelten her. Trotzdem glaube ich, die Textfülle ist hier Teil der Botschaft. Wir setzen dem Schweigen das Reden entgegen. Wenn das Gegenüber schweigt, wird das eigene Reden eben haltlos und überbordend, man fängt an zu schäumen und zu kreisen und will eine Antwort, ganz dringend. Dass die nicht zu kriegen ist, ist ein ganz wichtiger Aspekt.