Kolumne Frauen-WM: Das totale Matriarchat

Viel Wodka und Whisky – alles aufs Haus für die Frauen-WM. Zu Besuch an einem Ort der Leidenschaft, wo die Männer die Fresse zu halten haben.

Stadt am Meer von oben

Ferienkatalog-Idyll: Nizza ist malerisch und fern vom Zentrum geht es lustig zu Foto: Rishi Deka/ZUMA Press/imago

An der Wand hängt Johannes Paul II. neben einem etwas vergilbten Poster von Krakau, es läuft dröhnend laut englischer Partypop, und die Inhaberin des kleinen Restaurants, ihr Französisch mit hartem polnischem Akzent, fragt mich, was ich in Nizza mache. Als ich sage, dass ich beruflich zur WM da bin, schlägt sie die Hände zusammen: „Zur Frauen-WM? Darauf müssen wir anstoßen. Du bekommst aufs Haus, was du willst.“ Die beiden anderen Frauen am Tresen beugen sich neugierig vor, sicherlich, denke ich, fühlt es sich so an, Dzsenifer Marozsán zu sein.

Erst beim Nachfragen scheint Inhaberin Suzanna klarzuwerden, dass ich keine Spielerin bin, sondern bloß irgendeine blöde Sportjournalistin, aber das ändert nichts an ihrer Begeisterung und meinem Status. Suzanna füllt die Gläser, also große Wassergläser, mit Wodka beziehungsweise Whisky, und ich stelle fest, dass man Begeisterung für Frauenfußball manchmal an überraschenden Orten findet.

Mein Viertel in Nizza ist, muss ich an der Stelle einschieben, generell ziemlich lustig. Weit weg vom Zentrum und der Aneinanderreihung immer gleicher pittoresker Häuser, pseudo-uriger Restaurants und Souvenirshops, was den Nachteil weiter Wege hat und den Vorteil eines Berliner Allerlei: Es gibt die tunesische Dönerbude, den rumänischen Supermarkt von Paul und Anastasia, eine russische Schneiderei und das „Haus des Schleiers“, aus dem mir etwas verstörende, in schwarzem Kopftuch und Gewand verhüllte Kinderpuppen entgegengucken.

Heulende Männer

Suzanna, seit 26 Jahren hier, fühlt sich als Französin und guckt „natürlich“ Frauen-WM. Teil ihrer Truppe ist außerdem Dada, die polnisch-deutsche Roma-Wurzeln hat und ihren Spitznamen zu Recht deshalb trägt, weil sie ohne Ende redet, dazu Marline, die nicht mehr ganz beisammen ist und immer nur selig lächelt, und der schweigsame Andrzej. Man hat den Eindruck, dass diese vier nicht erst zum zehnten oder zwanzigsten Mal hier zusammen trinken. Vom Turnier haben sie nicht so furchtbar viel Ahnung, aber kickende Frauen finden sie super.

Als Kind, erzählt Dada, habe sie immer Fußball spielen wollen, aber die Mutter habe es verboten. Jetzt ist sie stolz auf die Frauen im Fernsehen. „Und wie sie spielen“, ruft Suzanna, „die Männer, die heulen nach Fouls immer nur rum. Die Frauen – nein, nein, nein.“ „Eines Tages werden sie auch genauso verdienen wie die Männer“, erklärt Dada parallel, eigentlich reden sie die Hälfte der Zeit neben­ein­ander her, brüllend über die Musik hinweg.

Mein Einwand, dass Equal Pay nicht immer sinnvoll sei, juckt Dada nicht, hier existieren keine Grauzonen. „Wir Frauen reißen alle Barrikaden ein“, kündigt Suzanna beim nächsten Glas an. „Hey, einziger Mann, halt die Fresse“, sagt sie zu Andrzej, der gar nichts hatte sagen wollen. Er schweigt hörig. Irgendwann verlasse ich das totale Matriarchat und verspreche wiederzukommen. „Dziękuję“, sage ich.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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