Kommentar Europas Rechte: Schlimm, aber nicht schicksalhaft

Ja, die Rechten haben bei der EU-Wahl zugelegt, in den einzelnen Ländern ist das gefährlich. Für ein EU-Bündnis aber sind sie zu widersprüchlich.

Fetzen verschiedener Wahlplakate übereinandergeklebt

Die Anti-Europäer mögen dazugewonnen haben, sind sich aber alles andere als einig Foto: reuters

Schicksalswahl, so wurde die Abstimmung zur Europawahl in den vergangenen Wochen und Monaten oft genannt. Ganz so, als stünden die Herren der Finsternis kurz vor der Auslöschung des Lichts. Doch diese Vorstellung war wohl eher den Wunschträumen von Salvini, Orban und Co entsprungen – und manch einer auf der pro-europäischen Seite ist dem in Sorge um die Zukunft der EU aufgesessen.

Ja, die Rechtsparteien haben bei der Europawahl dazu gewonnen, doch weniger stark als befürchtet. Und ja, sie werden ihre destruktive Kraft im Europaparlament ausspielen. Ob sie dies in einer vereinten rechten Fraktion tun werden, die ihnen mehr Ressourcen, mehr Redezeit und mehr Einfluss bringt, ist noch ungewiss. Jenseits von Hetze gegen Flüchtlinge, Islamhass und dem Wunsch, die EU von Innen zu sprengen, sind die Widersprüche zwischen den Parteien groß – egal ob es um Geld, die Verteilung von Geflüchteten oder das Verhältnis zu Russland geht. Das große rechte Bündnis ist vor allem erst mal der große Traum der Rechten selbst.

Viel wichtiger aber ist: Die große Mehrheit der WählerInnen hat proeuropäisch votiert. Und: In Ländern wie Dänemark und Österreich haben die Rechten im Vergleich zu letzten Europawahl verloren (auch wenn schwer erträglich ist, wie viele WählerInnen der FPÖ nach dem Ibizagate die Treue halten), in anderen Staaten wie Finnland, den Niederlanden und Deutschland sind sie zumindest deutlich hinter den Erwartungen zurück geblieben. Dass die Rechtspopulisten immer stärker werden, ist kein Naturgesetz, dem DemokratInnen hilfslos ausgeliefert sind. Der Trend ist zu bremsen und umkehrbar.

Gefährliche Entwicklung in einzelnen Mitgliedsstaaten

Ein Grund zur Entwarnung aber ist das nicht: Viel gefährlicher für die EU, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa, ist die Entwicklung in einzelnen Mitgliedsstaaten. In Ungarn und Polen haben Orbans Fidesz und Kaczynskis PiS zugelegt und dürfen dies als Zustimmung zu ihrer Politik werten. In Polen wird dies als Signal für die nationalen Wahlen im Herbst gesehen – der Hoffnung, ein Oppositionsbündnis könne die PiS schlagen, hat das einen Dämpfer versetzt.

Ganz besonders beunruhigend aber ist die Entwicklung in zwei EU-Gründerstaaten: In Frankreich ist der Rassemblement National, von Marine Le Pen etwas weichgespült, stärkste Kraft geworden. Dass die proeuropäischen WählerInnen in Frankreich die Mehrheit haben, wie noch beim Zweikampf Macron/Le Pen bei den Präsidentschaftwahlen 2017, droht vorbei zu sein. Und Matteo Salvini hat die Lega, vor fünf Jahren noch eine norditalienische Kleinstpartei, mit rassistischer und flüchtlingsfeindlicher Politik zur stärksten Kraft in Italien gemacht – und könnte bald zum nächsten Ministerpräsident Italiens aufsteigen.

Rechte EU-Feinde an der Spitze großer, europäischer Kernländer: Das würde die EU im Kern erschüttern. Und ihre Macht im Rat weiter stärken, die Blockade verschärfen und eine lösungsorientierte Politik zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage noch schwieriger machen als bislang schon. Ein Konjunkturprogramm für neuen EU-Verdruss.

Das ist beunruhigend. Aber schicksalhaft ist es nicht.

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Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.

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