Kartoffelnasen in Knallfarben

GROSSE WORTE (7): Oft düster, aber beeindruckend: Graphic Novels beim ILB

Ein Jahrestag – das klingt doch nach was. Der „European Graphic Novel Day“ gehört zu den Highlights der europäischen Comicszene und ist seit Jahren fester Bestandteil des Literaturfestivals. Das will sich halt nicht nachsagen lassen, den Trend zur Gaphic Novel zu verpassen. In ausgesprochen heimeliger Atmosphäre passierte am Wochenende ein sympathischer Haufen internationaler Comic-Künstler die Bühne der Berliner Festspiele, auf der sie der Reihe nach ihre Arbeit vorstellten. Riesig bauten sich dabei auf der Leinwand hinter ihnen ihre fiktiven, in Sprechblasen sprechenden Protagonisten auf. Schwarzweißgesichter, Kartoffelnasen und düstere Architekturen. Das sah beeindruckend und oft düster aus.

Da war zum Beispiel der 53-jährige Italiener Igort, der mit Schnauzbart, Schal und ernster Miene realpolitische Inhalte präsentierte: Seine „Berichte aus Russland“ und die „Berichte aus der Ukraine“ sind die Essenz aus einem Jahr Reisezeit, aus gesammelten Erlebnissen und Einzelschicksalen. Mit seinen Grafikromanen versucht er, neues Licht auf den Tschetschenienkrieg, auf das Leben im stalinistischen Gulag und das Schicksal von Anna Politkowskaja zu werfen. Trank die Journalistin ihren Tee mit oder ohne Zucker? Und wo ist sie regelmäßig einkaufen gegangen? Die Kunst des Erzählens, findet Igort, liegt im Detail. Die Belgierin Judith Vanistendael plaudert dagegen spitzbübisch über Vater-Tochter-Konflikte und darüber, was es heißt, sich in einen Afrikaner ohne Aufenthaltsgenehmigung zu verlieben.

Auf den Büchertischen liegen sie dann Seite an Seite, die so heterogenen Werke. Igorts in der Farbwahl antiquarisch anmutende Geschichten neben der Regenbogen-Erzählung von Camille Jourdy, die wilden Striche und knalligen Farbakzente, mit denen die Finnin Anna Sailamaa ihre Familengeschichte erzählt.

Auf der abendlichen Vernissage im Institut français geht der Talk weiter, die Nationalitäten, Künstler und Betrachter mischen sich und machen den European Graphic Novel Day unverkrampft zu einer Art Familientreffen – und Berlin einen Tag lang zum Comic-Zentrum Europas. SARAH ZIMMERMANN

Tagestipp: Was unsere Gesellschaft zusammenhält. Richard Sennett und Richard David Precht im Gespräch. Haus der Berliner Festspiele, 20 Uhr